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Freiheit statt Kapitalismus

Freiheit statt Kapitalismus

Titel: Freiheit statt Kapitalismus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sahra Wagenknecht
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Landes.
    Argentinien ist kein Einzelfall. Umschuldungen und die Nivellierung von Altschulden hat es auch in der europäischen Geschichte immer wieder gegeben. In seinen frühen Jahren als souveräner Staat geriet Frankreich nicht weniger als achtmal in Zahlungsverzug bei seinen Auslandsschulden. Spanien konnte vor 1800 seine Auslandsschulden sechsmal nicht begleichen und im 19. Jahrhundert siebenmal. Carmen Reinhart und Kenneth Rogoff zählen insgesamt 250 Auslandsschuldenkrisen weltweit in der Zeit von 1800 bis 2009 und mindestens 68 Inlandsschuldenkrisen. Fast alle dieser Krisen endeten mit einer zumindest teilweisen Schuldenstreichung.
    Dabei ist Reinharts und Rogoffs Aufzählung möglicherweise noch nicht einmal vollständig. Denn der Wirtschaftsjournalist und
FTD
-Ko lumnist Lucas Zeise hat recht, wenn er auch die Entscheidung der US-Regierung von 1971, die Goldkonvertibilität des Dollars aufzuheben und Frankreich nicht in Gold auszuzahlen, wie es der französische Staatspräsident de Gaulle verlangt hatte, als »eine (milde) Form der Staatspleite« bezeichnet. 126 Immerhin handelte es sich auch hier um die einseitige Aufkündigung einer zuvor eingegangenen Schuldverpflichtung.
    Weder die USA noch Argentinien noch irgendein anderes Land haben für ihren Schuldenstopp eines internationalen Insolvenzrechts für Staaten bedurft. Auch die Eurozone braucht kein Insolvenzrecht, wenn sie sich verständigen würde, in einer konzertierten Aktion 50 oder 75 oder auch 100 Prozent ihrer Altschulden zu streichen. Dabei sollte sie allerdings dem argentinischen Vorbild folgen und Sparer bis zu einer gewissen Anlagesumme, sagen wir 500   000 Euro, von der Streichung ausnehmen, um eine Enteignung echter Spargelder zu verhindern. Für Deutschland beträfe das vor allem Bundesschatzbriefe, die im Gegensatz zu den Bundesanleihen überwiegend von privaten Kleinsparern gehalten werden. Ihr Volumen ist im Vergleich zur ausstehenden Gesamtschuld gering. Die Weiterbedienung dieser Schulden fiele daher fiskalisch kaum ins Gewicht.
    Wen würde die Schuldenstreichung treffen? Unmittelbar vor allem Banken und Versicherungen. Die Altschulden der Eurostaaten belaufen sich 2010 auf insgesamt etwa 7,7 Billionen Euro. Alle EU-Staaten zusammen stehen mit etwa 9,6 Billionen in der Kreide. Würde ein Großteil dieser Schulden gestrichen, wären die meisten Banken und Versicherungen im Euroraum pleite.
    Toxisch würden durch eine Umschuldung der Staaten natürlich auch die auf die Staatsanleihen abgeschlossenen Kreditausfallversicherungen (CDS). Denn es ist eine Illusion, zu glauben, dass die Versicherungsnehmer der CDS (also diejenigen, die auf Staatspleiten wetten) von der Zahlungseinstellung eines größeren Landes, geschweige denn aller EU-Staaten, am Ende tatsächlich profitieren könnten. Die CDS unterscheiden sich auch dadurch von normalen Versicherungen, dass es keine regulatorischen Vorschriften für die Anbieter gibt, sie angemessen mit Eigenkapital zu unterlegen. Schon bei der Subprime-Krise hätte niemand Profit aus seinen Wetten gegen amerikanische Hypothekenpapiere ziehen können, wenn nicht die Staaten die größeren Anbieter der CDS gerettet und ihre Verpflichtungen mit Steuergeld erfüllt hätten. Einer der Großanbieter solcher CDS war der Versicherungsriese AIG, der gerade darüber in die Pleite stürzte. Eine Entschuldung der EU-Staaten wäre daher vermutlich auch mit Massenpleiten von Hedge-Fonds und anderen Spekulationsvehikeln verbunden. Das wäre nur zu begrüßen, denn eine solche Entwicklung würde ihren Teil dazu beitragen, die Vermögensblase bei den Reichsten – nur sie investieren in solche Fonds – zu entwerten.
    Die Großbanken und Versicherungen allerdings müssten – um unkontrollierte Kettenreaktionen und eine Entwertung von Spargeldern zu verhindern – verstaatlicht, rekapitalisiert und restrukturiert werden. Ihre Verstaatlichung und Restrukturierung ist ohnehin unerlässlich, um wieder zu einem Finanzsektor zu kommen, der seine Aufgaben wahrnimmt. Detaillierter werden wir das im Kapitel »Öffentliche Banken als Diener der Realwirtschaft« besprechen.
    Die Rekapitalisierung wiederum wäre auf relativ einfache Weise dadurch möglich, dass über eine einmalige Abgabe jene Vermögen haftbar gemacht werden, die ihr Wachstum den Fehlentwicklungen der letzten Jahrzehnte verdanken: die Vermögen der oberen Zehntausend.
     
    Nach den Zahlen des Weltvermögensreports der Investmentbank Merrill Lynch besaßen allein

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