Freiheit statt Kapitalismus
(Immerhin können die Baden-Württemberger für Preissprünge des Energieanbieters EnBW neuerdings ihre Landesregierung als Miteigentümerin in Haftung nehmen, was ein deutlicher Vorteil gegenüber der Situation in allen anderen Bundesländern ist.) Seit die Deutsche Bahn angefangen hat, sich für die Privatisierung hübsch zu machen, dürfen die Fahrgäste von Jahr zu Jahr tiefer in die Tasche greifen. Die Bahn-Wettbewerber, deren Marktanteil im Fernverkehr ohnehin bei unter 1 Prozent liegt, nehmen ihr dabei nicht die Butter vom Brot, sondern haben das DB-Preissystem freudig übernommen.
Auch das elementare Gut Wasser ist in jenen Kommunen, in denen es privaten Anbietern überantwortet wurde, sehr viel teurer als da, wo es nach wie vor von kommunalen Versorgern bereitgestellt wird. Ein besonderes Negativbeispiel in dieser Hinsicht ist die Stadt Berlin, in der die Wasserpreise nach der Teilprivatisierung um 35 Prozent nach oben schossen. Die britischen Wasserpreise stiegen nach Thatchers Privatisierungscoup übrigens um fast 50 Prozent. Versuchen Kommunalvertreter, den Preiswucher der privaten Anbieter zu stoppen, wie das in Potsdam geschah, verlieren diese in der Regel das Interesse am betreffenden Markt.
Noch extremere Beispiele explodierender Preise gibt es in Entwicklungs- und Schwellenländern. In Peru erhöhte der privatisierte Stromversorger zwischen 1992 und 2002 die Preise auf das 14-Fache. Als Südafrika unter Präsident Mbeki die Wasserversorgung privatisierte, stiegen die Preise um bis zu 140 Prozent und in die Townships kehrte die Cholera zurück. Auch wenn solche Katastrophen in der EU noch nicht zu befürchten sind: Die Macht privater Anbieter, für elementare Dienste Wucherpreise einzustreichen und auf dieser Grundlage ihre Aktionäre mit Dividenden zu verwöhnen, ist auch hier allgegenwärtig. Höflich ausgedrückt klingt das so:
»In Ermangelung umfassender Regulierung und wettbewerbsintensiver Märkte gewannen die Unternehmen die Freiheit, Preise und Dienstnach eigenem Ermessen festzusetzen.« 149
Einer der wenigen liberalisierten und privatisierten Bereiche, in denen die Preise tatsächlich gefallen sind, ist die Telekommunikation. Hier allerdings fiel die Privatisierung mit fundamentalen technologischen Veränderungen – bei den Festnetzleitungen, aber auch im Bereich der sich gerade erst entwickelnden Funktelefonie – zusammen, die die Leistungen wesentlich verbilligten. Es spricht viel dafür, dass die neuen Technologien und nicht die Privatisierung für den rapiden Preisverfall verantwortlich waren. Auch auf dem Telekommunikationsmarkt ist die bereits erwähnte Konzentrationskurve übrigens deutlich zu beobachten: Unmittelbar nach der Marktöffnung tummelten sich unzählige neue Anbieter auf dem Markt, vor allem im Bereich der mobilen Netze. Die meisten von ihnen sind inzwischen wieder tot, in Deutschland etwa sind kaum mehr als vier relevante Anbieter übrig geblieben. Entsprechend haben auch die Preise mittlerweile ihre Abwärtsbewegung gestoppt und tendieren eher wieder nach oben.
Jobvernichtung und Hungerlöhne
Selbst wenn es in privatisierten Bereichen zu wirklichem oder zumindest teilweisem Wettbewerb kommt, sind die Ergebnisse längst nicht so erfreulich, wie es die Verheißungen waren. Denn solcher Wettbewerb wird dann vor allem über die Arbeitskosten ausgetragen. Auch das ist eine für Privatisierungen typische Entwicklung: Der Eigentumsveränderung folgen nahezu immer massive Entlassungswellen, Auslagerungen, Lohndumping, die Ausweitung atypischer Beschäftigungsverhältnisse, also eine massive Verschlechterung der Bezahlungs- und Arbeitsbedingungen.
In Deutschland wurden infolge der Liberalisierung öffentlicher Dienstleistungen seit Mitte der neunziger Jahre schätzungsweise 600 000 Jobs vernichtet. 150 Nachdem etwa die privatisierte Telekom bis 2007 bereits über 100 000 Stellen gestrichen hatte, gliederte sie noch einmal 55 000 Beschäftigte in Servicegesellschaften mit schlechterenLöhnen aus. Die Einstiegsgehälter für neue Beschäftigte wurden um 6,5 Prozent abgesenkt, die Wochenarbeitszeit ohne Lohnausgleich von 35 auf 38 Stunden erhöht. Die neuen Unternehmen am Markt (Vodafone, O2) haben noch ungünstigere Haustarifverträge oder gar keine (E-Plus).
Auch bei der privatisierten Deutschen Post AG arbeiten heute über 100 000 Menschen weniger als früher. Zudem wurde eine Zwei-Klassen-Tarifstruktur für die vor und nach 2001 Eingestellten mit
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