Freiheit statt Kapitalismus
wurde versprochen, der die Preise in dieKnie zwingen werde. Die Beschäftigung sollte steigen und die gesamte Wirtschaft flotter wachsen.
Verschenkte Geschäftsgelegenheiten
Das gesellschaftliche Klima in den neunziger Jahren war günstig. Der Zusammenbruch des osteuropäischen Gesellschaftsmodells hatte scheinbar jede Form von Staatseigentum diskreditiert. Was also lag näher, als in dieser Situation gleich noch den großen Kehraus in Westeuropa nachzuschieben. Immerhin gab es damals auch hier noch erhebliche Einflusspositionen des Staates in der Wirtschaft. Das galt vor allem im Bereich der Grundversorgung, also jener Dienstleistungen, die zur Führung eines menschenwürdigen Lebens mehr oder weniger unerlässlich sind. Post, Bahn und Luftverkehr, Wasser und Energie, kommunale Dienste, Krankenhäuser, Schulen und Universitäten waren im Europa der beginnenden neunziger Jahre bis auf wenige Ausnahmen in öffentlicher Hand. In den Augen der Privatwirtschaft waren solche öffentlichen Domänen nichts als verschenkte Geschäftsgelegenheiten. Entsprechend groß war der Druck, den Staat möglichst weiträumig aus seinen bisherigen Betätigungsfeldern zu vertreiben.
Das europäische Land, das in Sachen Privatisierung bereits Pionierarbeit geleistet hatte, war Großbritannien. Von der Bahn bis zur Telekommunikation, von der Energieversorgung bis zum Wasser hatte die eiserne Regierungschefin Mararet Thatcher die öffentlichen Dienstleistungen schon in den achtziger Jahren in profitable Geschäftsobjekte privater Anbieter verwandelt. Das war das Vorbild, an dem sich die EU-Kommission orientierte. Mit Richtlinien zur Liberalisierung des Energie-, Post- und Telekommunikationsmarktes sowie mit massivem Druck über die Hebel Vergabe- und Beihilferecht wurde ab Mitte der neunziger Jahre der Thatcherismus auch in Kontinentaleuropa vorangetrieben. Eilfertige Unterstützer fanden die Brüsseler Privatisierungsfreunde in vielen Staaten, besonders in Deutschland.
Europas neues Gesicht
Seither hat sich das Gesicht Europas verändert. Wie die Wirtschaft allgemein, werden heute auch elementare Leistungen der Grundversorgungvon großen Konzernen angeboten, die sie für sich in ein hochprofitables Geschäft verwandelt haben. Die französischen Wassermultis Suez und Veolia etwa haben den milliardenschweren Wassermarkt erst in Europa und dann in der ganzen Welt aufgerollt. Auch die deutschen Energieversorger E.ON und RWE haben sich im Ergebnis der Liberalisierungswelle zu Global Playern mit zweistelligen Milliardenumsätzen gemausert. Seit Jahren gehören sie zu den dividendenstärksten Unternehmen im Deutschen Aktienindex DAX. Auch große Krankenhauskonzerne wie das Rhön-Klinikum oder die Fresenius AG machen heute Umsätze im Milliardenbereich und erzielen Gewinne, die keine Wünsche offenlassen.
Eine ganze Reihe von Unternehmen hat sich also inzwischen darauf spezialisiert, genau das anzubieten, was früher staatliche Aufgabe war: die Versorgung mit Wasser, Energie, Transport- oder Gesundheitsdiensten. Auch Bildung und Sozialdienste, ja sogar Verwaltungs- und Sicherheitsdienstleistungen befinden sich mittlerweile im Angebot. Die private Grundversorgungsindustrie, die sich in den zurückliegenden fünfzehn Jahren in Europa etabliert hat, hat Struktur und Qualität der angebotenen Leistungen allerdings nicht unverändert gelassen. Und die Veränderungen unterscheiden sich erheblich von dem, was versprochen wurde.
Wettbewerb, welcher Wettbewerb?
Was wurde in der Privatisierungsphase nicht über die segensreichen Wirkungen von Wettbewerb herumpalavert. Inzwischen hat sich herausgestellt: Der Wettbewerb, der uns so viel Gutes bescheren sollte, findet meistens gar nicht statt. Vielfach ist die Situation heute ähnlich wettbewerbsarm wie zu früheren Zeiten, nur dass das staatliche Monopol durch ein privates ersetzt wurde. Manchmal gibt es auch drei oder vier große Unternehmen, die den Markt unter sich aufteilen. Das hat oft nichts mit bösem Willen, sondern vor allem mit der Struktur der in Rede stehenden Dienstleistungen zu tun.
Netze beispielsweise sind immer und per se ein Monopol. Es gibt nur ein Schienennetz der Bahn und nur ein Überlandnetz für die Fernleitung von Elektrizität. Auch für die Festnetztelefonie gibt es nur eineInfrastruktur. In solchen Netzen stecken Milliardeninvestitionen. Sie sind teuer zu warten. Selbst die verrücktesten Wettbewerbsfanatiker sind daher bisher nicht auf die Idee gekommen, einen
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