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Freiheit statt Kapitalismus

Freiheit statt Kapitalismus

Titel: Freiheit statt Kapitalismus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sahra Wagenknecht
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»Unabhängigkeit der Zentralbank« war nie etwas anderes als die euphemistische Umschreibung dafür, einen für die Allgemeinheit zentralen Bereich – die Geld- und Kreditwirtschaft – dem Finanzsektor zu überlassen.
    Zu einem Programm für ein neues demokratisches Europa gehört also neben der Streichung der Altschulden der Staaten auf jeden Fall auch die Streichung des Artikels 123 des Lissabon-Vertrags und das Recht der Staaten, ihre Defizite in einem bestimmten Rahmen direkt bei der Europäischen Zentralbank zu finanzieren. Da die Europäische Zentralbank eine öffentliche Institution ist, könnte das zinsfrei geschehen, da die Staaten andernfalls nur an sich selbst Zinsen zahlen würden.
    Zentral für die Allgemeinheit ist natürlich nicht nur die Kreditversorgungder Staaten, sondern auch die der Wirtschaft. Zu gewährleisten, dass für sinnvolle Investitionen und Innovationen ausreichend Kredit zur Verfügung steht, ist von allgemeinem Interesse. Finanzstabilität ist ein öffentliches Gut. Deshalb gehört der Finanzsektor letztlich insgesamt nicht in die Hände unverantwortlicher Renditejäger, sondern in die öffentliche Hand. Zumal es auch nur dann eine echte Chance gibt, die Banken zu verkleinern, strikt zu regulieren und wieder zu dem zu machen, was ihre Aufgabe wäre: Diener der Realwirtschaft zu sein.
    Deregulierung statt gemeinsamer Standards:
Nur der Fitteste überlebt
    Im genauen Gegensatz zu diesen Anforderungen werden heute immer größere Bereiche des öffentlichen Lebens der profitorientierten Ökonomie überlassen. Ein armer Staat ist auch ein abhängiger Staat, einer, der den Markt nicht mehr ordnen kann, sondern sich ihm unterordnen muss. Der Markt aber wird nicht zu einem geeinten Europa, er muss zu einem immer tiefer gespaltenen Europa führen. Schon die Ordoliberalen wussten, dass unregulierte Märkte nicht ausgleichen, sondern polarisieren, dass sie stets den Starken stärker und den Schwächen schwächer machen und so Gegensätze vergrößern, statt sie verschwinden zu lassen.
     
    Es ist der entscheidende Fehler der europäischen Integration, spätestens seit Beginn der neunziger Jahre, dass auf Deregulierung gesetzt wurde, wo einheitliche Regeln notwendig gewesen wären, und auf den Markt, wo es einer abgestimmten Politik bedurft hätte.
     
    Griechenland hatte im Norden einst eine funktionierende Landwirtschaft und es hatte einen industriellen Sektor. Die Landwirtschaft wurde durch EU-Subventionen zum Verschwinden gebracht, die die Bauern motivierten, ihre Flächen nicht mehr zu bestellen. Das war kein Versehen, sondern lag im Interesse der großen europäischen Agrarexporteure, die Griechenland fortan mitbeliefern konnten. Die griechische Industrie wurde unter dem Druck der überlegenen Konkurrenz, insbesondere aus Deutschland, in die Knie gezwungen. Auch das war kein Versehen. Für die großen Industriekonzerne, die den griechischen Markt übernahmen, war es ein gutes Geschäft. Aber ein Land, dasimmer weniger selbst produziert und immer mehr Produkte im Ausland kauft, muss sich immer stärker verschulden.
    Ähnliche Entwicklungen vollzogen sich in vielen der heutigen Defizitländer. Früher gab es Mittel, mit denen Staaten eine unterlegene Wirtschaft schützen konnten. Es gab Zölle oder spezielle Steuern, die Importe gegenüber der heimischen Produktion benachteiligten. Es gab Kontrollen des Kapitalverkehrs, mit denen Konzerne gezwungen werden konnten, ihre Profite im Land zu reinvestieren. Aber nach den Gebetsbüchern des Neoliberalismus durfte es all das in der Europäischen Union nicht mehr geben. Nur der Fitteste sollte überleben. Nach Einführung des Euro entfiel auch noch die letzte Möglichkeit, auseinanderklaffende Produktivitätsentwicklungen auszugleichen: die Abwertung der eigenen Währung.
    Lohnentwicklung und außenwirtschaftliche Ungleichgewichte
    Also blieb fortan nur noch der Fitteste übrig. Was sich nicht behaupten konnte, verschwand. Das war keine »kreative Zerstörung«, die Neues beförderte, sondern eine, die Leere hinterließ. Eine der Absurditäten der jüngeren europäischen Geschichte besteht darin, dass sich das Lohnniveau in den einzelnen Ländern nach Einführung der gemeinsamen Währung viel stärker auseinanderentwickelt hat als je zuvor. Während Deutschland unter dem Druck der Agenda 2010 ein Jahrzehnt sinkender Reallöhne einleitete, konnten kämpferische Gewerkschaften in Südeuropa weiterhin akzeptable Lohnerhöhungen durchsetzen. Das

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