Freiheit statt Kapitalismus
bedeutete nicht nur, dass die Kosten der Unternehmen immer stärker divergierten und es deutschen Exporteuren immer leichter fiel, Wettbewerber aus anderen Ländern auszustechen. Es bedeutete auch volkswirtschaftlich ein wachsendes Konsumniveau und daher hohe Importe in den südlichen Ländern, und ein stagnierendes Konsumniveau und somit vergleichsweise wenige Importe in Ländern wie Deutschland. Die außenwirtschaftlichen Ungleichgewichte im Euroraum mussten damit eskalieren.
Kapazitäten, die einmal vernichtet sind, entstehen nicht deshalb wieder, weil jetzt auch in Südeuropa die Löhne sinken. Auch die Wiedereinführung nationaler Währungen in den schwächeren Ländern istkein Reset-Button, mit dem sich die Situation Ende der neunziger Jahre wiederherstellen ließe. Sie würde vielmehr zu wechselkursbedingter Hyperinflation in den betreffenden Ländern und unerschwinglichen Importpreisen führen, ohne dass zunächst eigene Anbieter zum Ersatz vorhanden wären. Sehr wahrscheinlich würde ein solcher Weg Europa endgültig auseinandersprengen. Handlungsfähiger würden die Staaten dadurch nicht, vielmehr würden ihre Währungen noch mehr zum Spielball der Finanzmärkte.
Die einzige Alternative sind billige Kredite, die klug in eine Reorganisation der Wirtschaft investiert werden. Angesichts der gigantischen Milliardenbeträge, mit denen heute jongliert wird, wären dafür relativ bescheidene Summen ausreichend. Ein Investitionsprogramm von 30 Milliarden Euro entspräche in Griechenland 10 Prozent der Wirtschaftsleistung und könnte, gut angelegt, dem Land einen Neustart ermöglichen.
Europäische Wirtschaftspolitik statt europäische Wirtschaftsregierung
Wenn Europa als Einheit überleben soll, darf es nicht dem Markt überlassen, sondern muss politisch gestaltet werden. Und das nicht, wie bisher, im Interesse der Banken und großen Unternehmensgruppen, sondern im Interesse der europäischen Bevölkerung. Das beinhaltet ausdrücklich nicht den Ruf nach einer europäischen Wirtschaftsregierung, die die Souveränität der Mitgliedstaaten außer Kraft setzen würde. Über das italienische Bildungssystem muss in Italien und über portugiesische Gesundheitsausgaben in Portugal entschieden werden. Das Haushaltsrecht gehört zu den elementaren Rechten eines nationalen Parlaments und darf ihm, ohne die Demokratie in ihren Grundfesten zu zerstören, nicht genommen werden.
Zwar sind längst auch viele Regierungen ihrer Bevölkerung fremd geworden und bereit, gegen Mehrheiten Politik zu machen. Noch weit mehr würde das aber für eine Brüsseler Behörde gelten, die schon gar keiner demokratischen Kontrolle unterläge. Noch mehr Kompetenzen an das Europäische Parlament abzugeben, wäre ebenfalls keine gute Idee. Ein Vielvölkerparlament, in dem die Abgeordneten noch nichteinmal eine gemeinsame Sprache sprechen und das weit weg von ihren Ländern und Wahlkreisen liegt, wird in viel geringerem Maße von der Öffentlichkeit beaufsichtigt als die nationalen Parlamente. Es wird immer dem Bürger ferner, abgehobener und damit leichter durch zahlungskräftige Lobbys steuerbar. Schon heute liegt der Grad der Beeinflussbarkeit durch interessierte Wirtschaftskreise, ja der Käuflichkeit und Korrumpierbarkeit, in Brüsseler Institutionen weit über dem auf nationaler Ebene Üblichen.
Noch mehr Entscheidungsbefugnisse nach Brüssel oder gar nach Frankfurt oder Berlin zu verlagern, wäre daher keine Lösung, sondern das Ende der Demokratie. Europa braucht keine machtvollkommenen Kommissare oder Zentralbanker, die in die einzelnen Länder hineinregieren, sondern vertraglich festgelegte Regeln und Standards, die für alle Länder gelten und eingehalten werden müssen. Solche mit Mehrheit vereinbarten, dann allerdings verbindlichen gemeinsamen Leitlinien der Wirtschaftspolitik wären die demokratische Alternative zu einer den nationalen Regierungen übergeordneten Europäischen Wirtschaftsregierung. Ohne eine abgestimmte Wirtschaftspolitik aber kann die Europäische Währungsunion nicht auf Dauer überleben.
Es ist erschreckend, in wie vielen keineswegs zentralen Bereichen es heute detailwütig festgelegte europäische Normen gibt. Ausgerechnet in den elementarsten Fragen wurde dagegen bis heute darauf verzichtet. Das betrifft nicht nur europäische Mindeststeuersätze als Alternative zum Steuersenkungswettlauf. Ähnliche Verabredungen sind auch in der Lohnpolitik unabdingbar. Die goldene Regel der Lohnpolitik, Löhne mit der
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