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Freitags Tod

Freitags Tod

Titel: Freitags Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Kuhlmeyer
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Thema Schnee«, sagte Julia.
    Sie fuhren in Conrads Wagen den Ring entlang, vorbei an weihnachtlich geschmückten Häusern, an vollen Parkplätzen vor den großen Supermärkten, die neuerdings das Brachland alter Industrieanlagen besiedelten. Vor dem Bahnhofsportal wurden sie von einem Beamten erkannt, er winkte sie heran. Conrad ließ die Scheibe hinunter.
    »Zweihundert Meter weiter. Da, wo der Rettungswagen steht, führt ein Weg zum Gleisbett«, wies er sie ein.
    Langsam fuhren sie weiter, und Conrad sah Julia von der Seite an. Sie war blass. »Alles okay mit dir?«
    Sie nickte, doch ihre Wangenmuskeln spannten sich. Zwischen einer Lagerhalle und einem Maschendrahtzaun führte ein Weg direkt zu den Gleisen. Gestalten in Schutzanzügen liefen einzeln oder zu zweit über das Gelände. Am Absperrband trafen sie zwei Kollegen. Seit Jahren fuhren sie dieselbe Schicht, wenn es sich irgendwie machen ließ. Conrad hob die Hand zum Gruß.
    »Und?«
    »Sie sammeln noch«, sagte der Größere, Jürgen, und zündete seine Zigarette an. Am Ende der Bahnsteige glotzten Schaulustige auf die Szene.
    »Weiß man schon, wer es ist?«
    »Du bist gut.« Jürgen stieß ein Lachen aus. »Wir können froh sein, wenn sie alles finden und nicht irgendein Köter sich ein paar Teile unter den Nagel reißt.«
    »Keine Papiere bisher?«
    »Nein.«
    Sie standen eine ganze Weile herum und sahen den Männern zu, deren Scheinwerfer über die Gleise huschten, innehielten und die Suche von neuem begannen. Der Regen hatte zugenommen. Conrad spürte Tropfen in seinen Nacken laufen. Jürgens Kollege, der die ganze Zeit geschwiegen hatte, gab ein Murmeln von sich und tappte den Weg zu den Autos zurück.
    »Lass uns im Wagen warten, Conrad.« Julia zitterte.
    Plötzlich kam einer der Vermummten auf sie zugerannt. Er trug in jeder Hand einen Gegenstand, der nicht zu identifizieren war. Seine Lampe flackerte im Takt seiner Schritte. »Ist die Kripo schon da?«, rief er von Weitem. »Da seid ihr ja. Ich hab was für euch.« Schwer atmend stoppte er und hielt ihnen eine Damenhandtasche hin, ein kleines braunes Ding mit einem Reißverschluss. Conrad streifte sich Handschuhe über, nahm sie entgegen und durchsuchte den Inhalt nach Ausweispapieren.
    Julia starrte auf das Etwas in der Rechten des Kollegen. Dann trat sie ein paar Schritte zur Seite und erbrach sich in einem Schwall. Überrascht folgte Conrads Blick zuerst Julia und hakte sich dann an dem Glas fest, das der Kollege gefunden hatte, um anschließend zu Julia zurückzukehren. Erschöpft und ohne in seine Richtung zu sehen, lehnte sie an einem Zaunpfeiler und wedelte mit der Hand. Conrad solle sich nicht um sie kümmern.
    »Hast du so was schon mal gesehen?«, fragte der Vermummte. Sein Gesicht war trotz der Kälte gerötet. Conrad nahm ihm das Glas, das einem Einmachglas ähnelte, aus der Hand.
    »Nein«, sagte er. »Gesehen habe ich so was noch nicht. Aber ich weiß, wozu, oder besser, zu wem es gehört.« Er hielt das Glas hoch und richtete seine Taschenlampe darauf. Zwei runde Objekte von der Farbe gekochten Fleisches schwammen in einer Flüssigkeit.
    »Habt ihr noch was gefunden?«
    Der Vermummte schüttelte den Kopf.
    »Du, ich geh dann mal zum Wagen. Das ist nichts für mich«, sagte Jürgen.
    »Das ist für niemanden etwas«, murmelte Conrad und konnte den Blick nicht von dem Glas wenden.
    »Hast du einen Schirm?« fragte er Julia, die sich noch nicht erholt hatte. Die zog einen kleinen rosa Klappschirm aus der Tasche, rührte sich aber nicht vom Fleck. Conrad spannte ihn auf, kramte weiter in der Handtasche und förderte ein Mäppchen mit Ausweisen zu Tage. Das Personalausweisbild zeigte eine Frau mit tiefen Furchen um den Mund und grauen Löckchen. Hedwig Freitag. In einem anderen Fach fand er ein sorgfältig gefaltetes Blatt Papier. Vorsichtig faltete er es auseinander. Die Schrift war so klein und farblos, wie es ihre Schreiberin gewesen war. Conrad las den Text laut vor. Damit er nicht nur sah, damit er hörte, damit er glaubte.
    »Es muss zu Ende gebracht werden. Nur aus dem Tod kann Neues entstehen. Nur wenn ein für alle Mal alles geklärt ist. Das tue ich hiermit. Ich, Hedwig Freitag, habe den Mord an meinem Mann allein und ohne Hilfe begangen. Ich habe ihn in seinem Büro erstochen, weil er ein schlechter Mensch war. Er selbst konnte das nicht erkennen. Ich habe seinen Blick gehasst, den auf mich, den auf meine Kinder und den auf die Welt. Ich wollte, dass er uns anders sieht. Wie -

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