Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Freiwild Mann

Freiwild Mann

Titel: Freiwild Mann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edmund Cooper
Vom Netzwerk:
die ihr Sprung erzeugte. Und die große Wasserfläche schien bis ans Ende der Welt zu reichen. Und die Berge am Ufer schienen ungeheure Brüste zu sein, die in den Himmel ragten.
    Auf dem Loch war eine Insel; und dort standen Steinruinen, großartig, wunderbar, efeuüberwuchert, vom Zahn der Zeit angenagt. Es waren die Ruinen eines Klosters, erzählte Diarmid, das im zwölften Jahrhundert gegründet worden war.
    Rura landete das Frauto auf der Insel. Als die Maschinen erstarben, blieb sie ruhig sitzen, lauschte der Stille. Es war nichts als Wind, Sonne und Einsamkeit. In einem klaren Moment wußte sie, daß sie am schönsten Ort und in der schönsten Zeit angelangt war, die sie je auf dieser Erde erleben würde.
    Sie stieg aus dem Frauto, und dort stehend, liefen ihr ohne Trauer die Tränen über die Wangen. Diarmid legte den Arm um ihre Schultern.
    „Jeder Mensch sollte etwas Schönes haben, an das er sich erinnern kann“, sagte er. „Das passiert nicht vielen. Wir sind unter den Glücklichen.“
    Mit einem Mal war sie eifersüchtig. „Du warst auch mit Flora hier?“
    „In Schottland gibt es viele Lochs. Und viele schöne Inseln.“
    „Du warst mit Flora hier?“
    „Ja, ich war mit Flora hier.“
    „Ich trage ihre Kleider. Bin ich nur ein Ersatz? Willst du die Toten zum Leben zurückrufen?“
    Sein Arm spannte sich an. „Ich war mit Flora hier – und mit Ewan. Du trägst ihre Kleider, das stimmt. Aber ich will die Toten nicht zum Leben zurückrufen. Die Toten sind für immer fort … Komm, wir fahren woanders hin. Ich will nicht, daß du dich unnötig über eingebildete Gespenster aufregst.“
    „Nein. Wir bleiben hier … Wie hast du sie geliebt?“
    „Müssen wir über Flora reden?“ Es klang erbost.
    „Ja. Wie hast du sie geliebt?“
    „Wie ein Mann eine Frau liebt, das ist alles.“ Seine Stimme war hart. „Ich habe sie zärtlich geliebt. Ich habe sie voll Verlangen geliebt. Ich habe sie trauervoll geliebt. Ich habe gesehen, wie sie ein Kind zur Welt gebracht hat, das war eine Freude. Ich habe gesehen, wie sie gestorben ist, und es blieb nur Leere … Komm, wir gehen. Der Tag wird sonst noch bitter.“
    „Nein“, sagte Rura, noch immer mit Tränen in den Augen. „Der Tag wird nicht bitter. Ich muß nur richtig verstehen, das ist alles. Auch ich liebe Flora, weil sie dich geliebt hat.“
    Er ging an den Uferrand. „Ewan hat immer flache Steine über das Wasser flitzen lassen. Manchmal hat er es fertiggebracht, daß die Steine fünfmal gehüpft sind. Aber das Wasser mußte schon sehr ruhig sein.“
    „Ich kann wie Flora sein“, sagte sie. „Aber ich kann niemals wie Ewan sein.“
    Er preßte sie so fest an sich, daß sie kaum atmen konnte.
    „Eines Tages“, sagte er stark gefühlsbetont, „eines Tages schenkst du mir vielleicht auch einen Sohn. Nicht einen Ersatz für Ewan, genauso wenig wie du ein Ersatz für Flora bist. Aber eines Tages, vielleicht, einen Sohn. Ist das zuviel verlangt?“
    „Vielleicht schenke ich dir auch eine Tochter. Würde dir das etwas ausmachen?“
    „Liebend empfange ich, was liebend gegeben ist. So ist es und nicht anders.“
    „Dann“, sagte Rura, „empfange mich liebend.“
     

21
     
    Wenn sie im nachhinein auf diese wenigen Stunden – die hellen Stunden – auf der Insel im Loch Tay zurückschaute, dann wußte sie mit Sicherheit, daß dies die wunderschönsten Stunden ihres Lebens waren. Besser als irgendetwas, was sie sich hatte vorstellen können, und weitaus besser als das, was sie erwartet hatte. Sie hatte den goldenen Nachmittag ihres Lebens gefunden, genossen und im Herzen aufbewahrt. Es war Glück bis fast an die Schmerzgrenze. So viele lebten und starben, ohne den Glanz der Erfüllung erlebt zu haben, das Nachglühen der Ekstase.
    Es war ein stiller Nachmittag; still und schwül, ein kommender Sturm lag in der Luft. Der Sturm würde mit Gewißheit kommen. Aber unterdessen war die Welt berückend. Solche Schönheit durfte nicht verschwendet werden.
    In den Untiefen rund um die Insel fing Diarmid Forellen. Mit locker herunterhängenden Armen stand er im Wasser, bis die nichtsahnenden Fische nahe genug kamen, daß er sie erwischen konnte. Dann schaufelte er sie mit einer geübten, gezielten Bewegung aufs Trockene. Vier Forellen tanzten einen silbrig glänzenden Todestanz, dann kam Diarmid ans Ufer und entfachte ein kleines Feuer.
    Zur Hölle mit Hubschraubern und Frautos. Irgendwie wußten sowohl Diarmid als auch Rura, daß dies nicht die Zeit

Weitere Kostenlose Bücher