Freiwild Mann
rührte sich; und der Geruch nahenden Mordens lag in der Luft. Rura hatte nur Sekunden, in denen sie etwas tun konnte. Aber was konnte sie tun? Ihre Hände waren gefesselt, ebenso die Beine, sie hatte keine Waffe, zwischen dem Funkgerät und ihr stand Diarmid. Nur eines konnte sie tun. Ans Ufer hüpfen, gestikulieren, die Frautos warnen. Diarmid brauchte für diese Aktion das Element der Überraschung. Wenn er oder seine Männer sie töten würden, dann würde das vom Frauto oder vom Hubschrauber aus gesehen werden. Wenn sie sie nicht töteten, dann hatte sie eine Chance.
Wenn sie aber die Frautos warnen konnte, dann würde das wahrscheinlich das Ende von Diarmid MacDiarmid bedeuten. Wenn es der Göttin gefallen würde, dann wäre es auch das Ende von Rura Alexandra. Das Leben war nichts wert, wenn nur drei Möglichkeiten offenblieben: Töten, getötet werden, verraten.
Rura begann zu rennen. Dummerweise vergaß sie das kurze Seil, das um ihre Beine gebunden war. Sie fiel hin.
Irgendwie raffte sie sich auf und machte sich in kleinen, lächerlichen Schrittchen auf den Weg zum Ufer. Mit gebundenen Händen winkte sie, hoffte, die Insassinnen des Frautos würden ihre Gestik richtig auslegen, hoffte, man würde sehen, daß sie gefesselt war und sich kaum bewegen konnte.
In wenigen Augenblicken, dachte sie, wird mein Kopf weggebrannt. In wenigen Augenblicken wird ewiger Friede mich umfangen. Aber vielleicht hatte Diarmid es so geplant. Vielleicht wollte er etwas in dieser Art tun. Vielleicht dachte er, es würde von der Falle ablenken. Sie konnte nicht mehr denken. Sie fiel noch einmal hin, raffte sich noch einmal auf, winkte, versuchte zu rennen, fiel wieder hin.
Sie lag auf dem Boden, wand sich, sah, wie die Frautos einen gelungenen Schwung machten, über den See auf das verbrannte Lager zuglitten. Die Zeit schien langsamer zu vergehen, beinahe stillzustehen. Wie ein gigantischer Raubvogel hing der Hubschrauber in der Luft. Die Frautos landeten, einige Meter von ihr entfernt, spuckten die schwarzgekleideten Vernichterinnen aus.
„Kehrt um!“ schrie Rura. „Haut ab! Haut schnell ab!“
Der Lärm des Hubschraubers und der ersterbenden Frautomotoren schluckten ihre Stimme.
Und dann geschah alles plötzlich, wie eine schnelle Reihe von Fotografien, jedes Bild aufgenommen, entwickelt, zerstört, in Sekundenschnelle.
Die erste war ein Mädchen mit lieblichem blonden Haar. Die erste, die aus dem Frauto stieg. Ein eifriges Mädchen, ihr Lasergewehr schwingend, das Lager beobachtend, alles in sich aufnehmend. Erstes Bild. Dann kamen die anderen aus dem Frauto. Bild zwei. Dann kamen sie aus dem zweiten Frauto. Bild drei.
„Kehrt um, kehrt um!“
Es war zu spät.
Das blonde Haar ging in Flammen auf, das Gesicht wurde schwarz und zischte. Ein Aufschrei wurde in der bereits toten Kehle verbrannt. Grenzer fielen, wurden niedergemäht, brannten, krümmten sich. Der Alptraum der Zerstörung entfaltete sich. Ein Frauto ging in die Luft. Im Hubschrauber war man Zeuge des ganzen Geschehens, flog hoch oben, kreiste, wartete ab, beobachtete.
Die Luft war voll von dem Geruch verbrannten Fleisches. Rura hätte sich am liebsten noch einmal übergeben, aber für Luxus dieser Art hatte sie keine Zeit. Sie stand auf und versuchte, dem Hubschrauber Zeichen zu geben.
Sie wurde durch Laserfeuer belohnt. Der Boden nahebei flammte auf, Feuer schoß aus der Erde und Rauch zum Himmel. Sie stürzte, keuchend, würgend.
Einer von Diarmids Männern stand auf und versuchte, den Hubschrauber zu treffen. Er wurde sofort zu einem Nichts zerblasen. Der andere hatte mehr Glück. Er schoß zuerst, bevor auch er getroffen wurde. Der Motor des Hubschraubers machte jetzt ein anderes Geräusch. Vorher hatte er geschmettert. Jetzt schepperte er. Kurzfristig gewann er an Höhe, versuchte wegzufliegen. Diarmid verließ mit seinem Gewehr das Frauto. Kühl zielte er auf den Hubschrauber. Dieser explodierte und fiel wie ein Stein in das Loch. Der letzte Schnappschuß war ein ungeheueres Aufklatschen. Wasserblasen im Sonnenlicht. Rura verlor das Bewußtsein.
Sie fühlte etwas Kühles auf ihrem Gesicht. Nässe. Wasser. Das Wasser des Lebens. Sie wollte enttäuscht sein, als sie bemerkte, daß sie noch immer am Leben war. Aber sie war froh. Sie war froh, und sie schämte sich. Sie öffnete die Augen.
Diarmid hatte sie ans Ufer getragen und badete ihre Stirn. Sie richtete sich zu schnell auf. Die Welt begann sich zu drehen. Sie fiel zurück, lag und starrte
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