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Freiwild

Freiwild

Titel: Freiwild Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anja Belle
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dem Rechten zu sehen. Ich konnte die neugierigen und besorgten Blicke körperlich auf meiner Haut fühlen. Es war mir entsetzlich peinlich, so im Mittelpunkt zu stehen. So benahm sich niemand. Schon gar nicht die junge taffe Journalistin, die ich vor ein paar Tagen noch gewesen war.
    „Alles in Ordnung hier.“ Ralf verscheuchte seine Kameraden. Er spürte, wie unangenehm mir die Situation war.
    „ Es tut mir so leid...“, fing ich an, aber wurde von Ralf unterbrochen: „Schon gut. Ich werde dich nicht mehr anfassen. Alles okay.“ Aber sein Blick sagte mir, dass bei ihm nichts okay war. Er sah verwirrt aus und unsicher. Natürlich wusste er nicht, wie man mit hysterischen Frauen umging. Ich wusste es ja selbst nicht. „Und jetzt?“. Ralf stand in sicherem Abstand neben mir, die Ellbogen eng am Körper, die Hände immer noch auf Brusthöhe hoch gehoben, mir seine Handflächen zeigend und wartete darauf, was ich jetzt tun wollte. „Ich weiß es nicht. Essen?“. Ich musste anfangen, mich wieder wie ein normaler Mensch zu verhalten, damit ich nicht mehr auffalle. Solche öffentlichen Auftritte durften nicht wieder vorkommen. Ich musste mich einfach zusammenreißen, egal, was es kostete. In einem Camp mit hunderten von Soldaten konnte ich nicht jeder Uniform aus dem Weg gehen.
    Ralf hielt Abstand zu mir. Ich sah, wie gerne er mich wieder mit seinem Ellbogen geführt hätte, aber natürlich wollte er auch nicht nochmal angeschrien werden. Mit gesenktem Kopf hinkte ich neben ihm her. Ich sehnte mich danach, von ihm im Arm gehalten zu werden, aber ich konnte es nicht zulassen.
    Es war schwer, mich in der Kantine aufzuhalten. Obwohl sie sich mittlerweile fast geleert hatte, waren noch viele Soldaten dort, die sich eifrig unterhielten. Ich bemerkte, wie sie immer wieder verstohlen nach mir sahen. Es war mir mehr als nur unangenehm. In der hintersten Ecke sitzend, pickte ich lustlos an einem kleinen Salat herum und wollte eigentlich nur noch zurück in mein Zimmer. „Ich begleite dich!“ Ralf sprang auf seine Füße. „Nein, danke.“ Ich winkte ab. Ich wollte ihm ersparen, in weitere peinliche Szenen zu geraten. Mit mir war einfach nicht umzugehen; ich konnte es selbst nicht. Wie hätte er es können sollen. Er konnte mir nicht helfen, so sehr er es auch wollte. Er war genauso ein Soldat wie alle anderen auch.
    Deprimiert humpelte ich zurück auf mein Zimmer. Die Schultern weit hochgezogen und den Kopf gesenkt hoffte ich, niemandem aufzufallen.
    Ich blieb lieber in meinem Zimmer. Ralf kam ab und zu vorbei, um mir etwas zu Essen zu bringen, hielt aber respektvollen Sicherheitsabstand ein. Er sprach kaum ein Wort mit mir und ich hatte auch nicht viel zu sagen. Lieber litt ich still und leise alleine für mich, als Ralf noch einmal in so eine Situation zu bringen. Ich baute meine innerliche Mauer fest um mich. Lieber ließ ich nichts an mich heran, als dass ich eine verwundbare Stelle zeigte. Ich weigerte mich einfach, irgendwelche Gefühle zuzulassen. Das war sicherer, als wie ein Reh zwischen den ganzen Wölfen umherzuirren. Lieber leckte ich meine Wunden alleine, als dass ich noch einmal gebissen wurde. Ich sah nicht, dass ich mich selbst wie ein verwundetes Tier benahm.
    Andererseits hatte Ralf mir ja gezeigt, wie ehrlich und bemüht er um mich war. Er bot mir Schutz und Geborgenheit. Ich war innerlich völlig zerrissen zwischen dem Wunsch, mich abzuschotten und jemanden zu haben, dem ich vertrauen konnte. Wollte ich nicht länger alleine sein, musste ich mich öffnen. Und genau das kam für mich einfach nicht in Frage.

Kapitel 9
    Ein paar Tage später klingelte das Telefon. Oberst Breitenbacher war am anderen Ende. Erstaunt hörte ich, was er mir zu melden hatte. „Frau Hofmann, ich erwarte Sie heute um fünfzehnhundert bei mir im Büro!“. Bevor ich mich herausreden konnte, hatte er aufgelegt. Verwundert schaute ich den Hörer in meiner Hand an. Was wollte er nur von mir? Ich hatte nichts mit ihm zu tun; ich fiel nicht in seinen Befehlsbereich, soweit ich wusste. Außerdem hatte ich nicht die geringste Lust, wieder aus meinem Zimmer herauszukommen. Ich hatte es mir in dem Schwebezustand vollkommener Unentschlossenheit gemütlich gemacht. Hier drinnen war ich vor den Soldaten in Sicherheit.
    Als es Zeit war zu gehen, trat ich vor die Tür. Mein Knöchel war so gut wie verheilt und die Wunde auf dem Jochbein war nicht mehr zu sehen. Obwohl die Würgemale am Hals fast gänzlich verblasst waren, trug ich

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