Freiwild
den Atem an, auf das Schlimmste gefasst und streckte ihm meine Hand entgegen. Die Augen hatte ich fest zugekniffen. Es war, als wenn ich zum Blutabnehmen gehen würde. Ich wartete auf den Stich einer Spritze; wusste einfach, dass er gleich kommen würde. Aber nichts geschah.
„Anne! Mach die Augen auf!“, befahl mir Ralf, „So geht das nicht. Ich kann dich doch nicht auf Kommando anfassen!“. Er verschränkte die Arme trotzig vor der Brust. Ich schlug erstaunt die Augen auf. „Ich will dich anfassen dürfen, wenn mir danach ist. Und zwar immer dann, wenn ich will, und nicht, wenn du mir den Befehl dazu erteilst.“ Er starrte mich an, seine dunklen Augen schimmerten feurig. Er war auf Konfrontation aus, keine Frage. Aber genau das reizte mich, aus meiner Muschelschale herauszukommen. Ich machte mir die nächste Dose Bier auf. Besoffen streiten war besser. „Gut, das ist auch das, was ich will. Aber genau das ist es, was ich lernen muss. Ich kann das nämlich auch nicht auf Kommando!“. Auch ich verschränkte trotzig meine Arme und wollte damit meinen Standpunkt klar machen. Dann setzte ich einen drauf: „Ich kann gar nichts auf Kommando, ich bin nämlich gar kein Soldat!“. „Ach, echt? Hätte ich jetzt nicht gedacht. Kein Wunder, warum du nicht auf mich hörst!“. Ralf wurde sarkastisch, grinste aber: „Dabei hatte ich immer gedacht, Frauen werden gerne von Männern angefasst. So.“ Dabei tippte er mich mit einem spitzen Finger an der Schulter. „Und, wie ist das, he? Weißt du was? Hier ist Krieg, und Krieg ist grausam. Deswegen kann ich dich pieksen wo ich will!“. Jedes seiner Worte wurde von einem weiteren Antippen begleitet. Aber nicht mit mir! „Du bist doch hier der Befehlsempfänger. Und wenn ich dich antippen will, dann mache ich das. Hör auf zu zappeln! Stillgestanden!“, und stupfte ihn in die Brust. „Pass mal gut auf, kleines Fräulein! Wenn du hier frech wirst, dann mache ich das!“, und er fasste mir der flachen Hand auf mein Knie. Ich trank noch einen Schluck Bier und schlug innerlich Flammen mit meinen Augen. Ralf reizte mich und ich fiel darauf herein. „So! Als Feldwebel bist du aber auch ganz schön frech!“. Ich fasste ihn am Knie an und ließ meine Hand dort liegen. „ OBER feldwebel, bitteschön! Und OBER feldwebel dürfen sogar das da!“, dabei fasste er mich sanft an der Wange an. Seine Stimme war leiser geworden. Er nahm die Hand nicht mehr weg, sondern bohrte seinen Blick in meine Augen. Unsere Köpfe kamen sich immer näher und die Spannung zwischen uns wurde greifbar.
„ Weißt du was?“, fing ich wesentlich sanfter an, „Wenn du weiter so frech zu mir bist, dann degradiere ich dich noch. Einfach so! Das ist mein Geburtsrecht!“. Bei diesen Worten lehnte ich meine Nase an seine. Ich konnte seine Wärme in meinem Gesicht spüren. Ich wurde handzahm bei dem angenehmen Geruch seiner Haut der mir in die Nase stieg und wollte nicht mehr streiten. Ich blieb an ihn gelehnt. Unsere Lippen waren nur Millimeter von einander entfernt. Leise sagte Ralf; „Okay, du hast gewonnen“, bevor er mir einen kleinen Kuss auf die Lippen hauchte. Ich konnte es zulassen und erwiderte flüsternd: „Du auch.“ Mit seinem kleinen gespielten Streit hatte er mich so abgelenkt, dass mir seine Berührungen keine Angst mehr eingeflößt hatten.
Mein Herz schlug Purzelbäume. Ja, ich hatte gewonnen. Aber nicht gegen Ralf, sondern es war ein Sieg über mich selbst. Ich grinste dämlich.
Ralf räusperte sich. Verlegen kratze er an seinem Hinterkopf und fuhr sich mit der Hand durch die Haare. Mit belegter, rauer Stimme meinte er schließlich: „Gut, nachdem wir das geklärt haben... hättest du Lust auf einen kleinen Spaziergang? Ich brauche frische Luft.“ Mit diesen Worten richtete er sich auf. Ich sah, wie er um seine Beherrschung kämpfte und willigte ein.
Kapitel 10
„ Es war alles meine Schuld! Ich hätte besser auf dich aufpassen müssen.“ Ralf sah bedrückt aus und ihm stand das schlechte Gewissen ins Gesicht geschrieben. Wir liefen nebeneinander her. Es war das erste Mal, dass ich das Camp wieder verließ. „Aber es kann doch nicht dein Job sein, hinter mir her zu laufen. Ich bin schon groß, musst du wissen.“ Ich grinste, aber es erreichte meine Augen nicht. Früher oder später würden wir ernsthaft miteinander reden müssen. Aber ich wollte jetzt keine tiefschürfenden Gespräche führen. Ich hatte von dem Kuss immer noch Herzklopfen. Ich wollte den lauen Abend
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