Fremd fischen
ein paar Fotos von Dex. Ich habe keines von uns beiden – nur ein paar, auf denen er mit Darcy zu sehen ist. Nach der Hochzeit habe ich bestimmt noch sehr viel mehr Aufnahmen wie diese. Darcy wird mich zwingen, Abzüge zu bestellen, und vielleicht schenkt sie mir sogar ein gerahmtes Foto zur Erinnerung. Wie soll ich das je überstehen?
James kommt mit zwei Cocktailservietten aus Leintuch, zwei Biergläsern und einem kleinen Schälchen mit Nüssen zurück. Alles ist säuberlich auf einem viereckigen Zinntablett arrangiert. Kate hat ihn gut dressiert.
« Danke», sage ich und nehme ein Bier.
Wir sitzen dicht nebeneinander auf der Couch und reden über meinen Job und seine Schreiberei. Es ist nicht rasend entspannt, aber auch nicht schrecklich. Wahrscheinlich, weil wir in einer Sackgasse sind. Es wird kein zweites Date geben, und so stehen wir nicht unter Leistungsdruck. Wir haben keine Erwartungen. Wir werden uns niemals mit dieser holprigen Phase abgeben müssen, die kommt, wenn alle Kennenlern-Themen abgehandelt sind, mit den Stockungen im Gespräch,
die beim zweiten Date meistens eintreten, wenn beide entscheiden müssen, ob sie sich in die Komfortzone durchkämpfen oder lieber das Handtuch werfen wollen. Dex und ich mussten uns damit natürlich nicht plagen. Auch das war so wunderbar mit ihm. Wir waren zuerst Freunde. Nicht an Dex denken. Denk an jetzt und daran, dass du hier bei James bist!
James beugt sich herüber und küsst mich. Er benutzt ein bisschen zu viel Zunge – er macht hektische Kreisbewegungen –, und sein Atem riecht ein bisschen nach Zigaretten, was komisch ist, denn er hat heute Abend nicht geraucht. Vielleicht hat er sich in der Küche eine genehmigt. Ich küsse ihn trotzdem wieder und tue begeistert. Einmal stöhne ich sogar leise. Ich weiß nicht, warum.
Wie oft werde ich es noch ertragen müssen, jemanden zum ersten Mal zu küssen? Darcy sagt, sie wird dieses Element des Single-Lebens vermissen, aber ich habe nichts dafür übrig. Außer bei Dex – da war der erste Kuss pure Magie. Ich frage mich, ob James genauso an Kate denkt wie ich an Dex. Nach einer akzeptablen Frist wandert James’ Hand unter mein Shirt. Ich habe nichts dagegen. Seine Berührung ist nicht unangenehm, und ich denke, warum nicht? Soll er ruhig mal eine amerikanische Brust inspizieren.
Eine halbe Stunde lang wird leicht bis mittelschwer gefummelt, und dann fragt James, ob ich über Nacht bei ihm bleiben möchte. Er wolle nicht mit mir schlafen, sagt er – na ja, er will schon, aber er wird es nicht versuchen. Und ich bin fast einverstanden, aber dann erfahre ich, dass James keine Salzlösung im Haus hat. Mit meinen Kontaktlinsen kann ich nicht schlafen, und meine Brille habe ich zu Hause gelassen. Das wär’s
also. Ich finde es amüsant, dass James’ gute Augen mich vor potenzieller Promiskuität bewahrt haben.
Wir küssen uns noch ein bisschen und hören seine Barenaked-Ladies-CD. Die Musik erinnert mich an mein Juraexamen, als ich mit Nate ging und als Nate mit mir Schluss machte. Ich höre die Texte und erinnere mich an meine Traurigkeit.
Musik und Gerüche eignen sich besser als alles andere, um Augenblicke der Vergangenheit auferstehen zu lassen. Es ist erstaunlich, wie viel ein paar Takte eines Songs oder der Geruch eines Zimmers heraufbeschwören können. Selbst wenn du damals auf den Song gar nicht geachtet hast oder du gar nicht merktest, dass an einem bestimmten Ort ein besonderer Geruch herrschte. Ich frage mich, was wohl später einmal Dex und unsere gemeinsamen Monate heraufbeschwören wird. Vielleicht Didos Stimme. Vielleicht der Duft des Aveda-Shampoos, das ich den ganzen Sommer über benutzt habe.
Irgendwann wird Dex eine ferne Erinnerung sein. Auch diese Tatsache macht mich traurig. Wenn jemand gestorben ist, scheinen die ersten Stadien der Trauer am schlimmsten zu sein. Aber in mancher Hinsicht ist es trauriger, wenn die Zeit vergeht und du merkst, wie viel ihnen entgangen ist. In deinem Leben. Auf der Welt.
James begleitet mich zu Ethans Wohnung. Unterwegs fragt er:«Hast du Lust, morgen mit mir nach Leeds Castle zu fahren? Und Ethan vielleicht auch?»
« Was ist Leeds Castle?», frage ich und denke mir, genauso gut könnte jemand fragen, was das Empire State Building ist.
« ’ne Burg. War mal ’ne normannische Festung und
Wohnsitz von sechs mittelalterlichen Königinnen. Ist wirklich sehr nett da. In der Nähe ist eine Freiluftbühne. Ist ein bisschen touristisch. Aber
Weitere Kostenlose Bücher