Fremd fischen
haben sie mir zurückgegeben und dabei Schaden genommen. Würde Mr. Cardozo Ihnen Schadenersatz zusprechen? »
« Natürlich.»
« Und warum?»
Dex seufzte, als sei ihm die ganze Übung langweilig, und dann sagte er zügig und mit klarer Stimme:«Weil es völlig vorhersehbar war, dass das Dynamit mir Schaden zufügen könnte. Wenn Sie eine mit Dynamit gefüllte Zeitung in meiner unmittelbaren Umgebung fallen lassen, verletzen Sie damit meine rechtlich geschützten Interessen. Mit Ihrer fahrlässigen Handlung erzeugen Sie ein Risiko, das bei alltäglicher Wachsamkeit offenkundig wäre.»
Ich studierte die unterstrichenen Passagen in meinem Buch. Dex zitierte Auszüge aus Cardozos Urteil, ohne auch nur einen Blick in sein Buch oder auf seine Notizen zu werfen. Das ganze Seminar war fasziniert: Niemand
schlug sich so gut, und schon gar nicht mit Zigman in seiner unmittelbaren Umgebung.
« Und wenn Ms. Myers klagen wollte», sagte Zigman und deutete auf eine zitternde Julie Myers am anderen Ende des Seminarraums, sein Opfer vom Tag zuvor.«Sollte sie auch Schadenersatz bekommen?»
« Nach Richter Cardozos Urteil oder nach Richter Andrews Minderheitsvotum?»
« Nach Letzterem. Das ist ja die Meinung, die Sie teilen. »
« Ja. Jedermann hat der Welt im Allgemeinen gegenüber die Pflicht, sich aller Handlungen zu enthalten, welche die Sicherheit anderer in unvernünftiger Weise gefährden.»Wieder ein wörtliches Zitat aus dem Minderheitsvotum.
Und so ging es den Rest der Stunde weiter; Dex wies auf die unterschiedlichen Nuancen bei geänderter Sachlage hin, ohne zu wanken, immer mit Entschiedenheit.
Und am Ende der Stunde sagte Zigman tatsächlich:« Sehr gut, Mr. Thaler.»
Das hatte es noch nie gegeben.
In Jubelstimmung ging ich aus dem Seminar. Dex hatte für uns alle gesiegt. Die Geschichte verbreitete sich unter allen Studierenden des ersten Jahres und brachte ihm bei den Studentinnen, die längst zu dem Schluss gekommen waren, dass er absolut zu haben sei, noch mehr Punkte ein.
Darcy erzählte ich sie auch. Sie war etwa um die gleiche Zeit wie ich nach New York gezogen – aber unter völlig anderen Vorzeichen. Ich war da, um Anwältin zu werden; sie kam ohne Job, ohne Pläne und ohne viel Geld. Ich ließ sie auf einem Futon in meinem Zimmer im Studentenheim wohnen, bis sie ein paar
Wohnungsgenossinnen fand – drei Stewardessen von American Airlines, die eine vierte Person suchten, um sie in ihr mit vielen Trennwänden versehenes Ein-Zimmer-Apartment zu zwängen. Sie lieh sich Geld von ihren Eltern, um die Miete zu bezahlen, während sie einen Job suchte, und schließlich fand sie eine Stelle als Barkeeperin in der«Monkey Bar». Zum ersten Mal, seit wir Freundinnen waren, war ich mit meinem Leben im Vergleich zu ihrem glücklich. Ich war genauso arm wie sie, aber ich hatte wenigstens Pläne. Darcys Aussichten erschienen nicht eben rosig bei einem Notendurchschnitt von bloß 2,9 von der Indiana University.
« Du bist ein solcher Glückspilz», winselte Darcy, wenn ich zu büffeln versuchte.
Nein, der Glückspilz bist du , dachte ich dann. Glück ist, wenn du beim Kauf eines Schokoriegels ein Lotterielos ziehst und den Jackpot gewinnst. Nichts in meinem Leben hat irgendetwas mit Glück zu tun – es ist alles nur harte Arbeit, und es geht immer nur bergauf. Aber das habe ich ihr natürlich nie gesagt. Ich habe nur gesagt, dass es auch für sie bald anders werden würde.
Und das tat es natürlich. Nach ungefähr zwei Wochen kam ein Mann in die«Monkey Bar»gerauscht, bestellte sich einen Whiskey Sour und fing an, Darcy anzubaggern. Als sein Glas leer war, hatte er ihr schon einen Job in einer der Top-PR-Agenturen von Manhattan angeboten. Sie solle zu einem Vorstellungsgespräch kommen, aber er werde (Zwinker, Zwinker) schon dafür sorgen, dass sie den Job bekäme. Darcy nahm seine Visitenkarte entgegen, ließ ihren Lebenslauf von mir redigieren und bekam auf der Stelle ein Angebot. Anfangsgehalt siebzigtausend Dollar. Plus Spesen. Praktisch das, was ich verdienen würde, falls mein Examen
gut genug ausfiele, um damit einen Job bei einer New Yorker Anwaltsfirma zu ergattern.
Während ich mich also abrackerte und Schuldenberge auftürmte, begann Darcy ihre glanzvolle PR-Karriere. Sie plante Partys, promotete die neuesten Modetrends der Saison, kriegte alles Mögliche gratis und hatte reihenweise schöne Männer. Innerhalb von sieben Monaten hatte sie die Stewardessen im Staub zurückgelassen und war mit
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