Fremd fischen
auch?»
« Doch», sagt er.«Sehr nett.»
Nach kurzem Schweigen reden wir über die Arbeit und gemeinsame Freunde von der Uni, lauter Dinge, über die wir uns auch vor DEM ZWISCHENFALL unterhalten haben. Anscheinend ist wieder alles normal. So normal, wie es sein kann, wenn man einen solchen Fehler begangen hat.
Wir sind zu früh an der Bushaltestelle. Dex hält auf dem Parkplatz, wendet sich mir zu und betrachtet mich mit seinen grünen Augen so, dass ich am liebsten wegschauen möchte. Er fragt, was ich Dienstagabend vorhabe.
Ich glaube, ich weiß, warum er fragt, aber ich bin nicht sicher, und deshalb schwatze ich drauflos.«Arbeiten. Das Übliche. Ich habe am Freitag eine Zeugenbefragung, und ich hab noch nicht mal angefangen, mich darauf vorzubereiten. In meinem Entwurf steht bisher nur: ‹Könnten Sie für das Protokoll Ihren Nachnamen buchstabieren?› und ‹Nehmen Sie irgendwelche Medikamente, die Ihre Fähigkeit zur Aussage beeinträchtigen könnten?›»Ich lache nervös.
Sein Gesicht bleibt ernst. Er interessiert sich offenkundig kein bisschen für meine Zeugenbefragung.« Hör zu, ich will dich sehen, Rachel. Ich komme um acht vorbei. Am Dienstag.»
Und wie er das sagt – nicht als Frage, sondern als Feststellung –, macht mir Bauchschmerzen. Nicht die
Bauchschmerzen, die man vor einem Blind Date hat. Auch nicht die Nervosität vor einer Abschlussprüfung. Nicht das Gefühl:«Ich kriege eine Abreibung, weil ich etwas angestellt habe.»Und es ist auch nicht das schwindlige Empfinden, wenn ein Typ, in den du verknallt bist, deine Existenz soeben mit einem Lächeln oder einem beiläufigen Hallo zur Kenntnis genommen hat. Es ist was anderes. Es ist ein vertrauter Schmerz, aber ich kann ihn nicht genau einordnen.
Mein Lächeln verblasst, und mein Gesicht wird ernst wie seines. Ich brauche ihn nicht zu fragen, warum er mich sehen oder worüber er reden will. Ich sage nicht, dass ich arbeiten muss oder dass es keine gute Idee ist. Ich nicke nur.«Okay.»
Ich sage mir, ich bin nur deshalb bereit, mich mit ihm zu treffen, weil wir das, was zwischen uns vorgefallen ist, endgültig klären müssen. Und deshalb begehe ich auch kein weiteres Unrecht gegen Darcy. Ich will bloß den bereits angerichteten Schaden reparieren. Und ich sage mir, wenn ich Dex tatsächlich aus anderen Gründen sehen will, dann bloß, weil er mir als Freund fehlt. Ich denke an meinen Geburtstag, und wie wir im«7B»waren, bevor es passierte, und ich erinnere mich, wie gern ich mit Dex allein zusammen war, ohne Darcys Ansprüche an ihn. Ich vermisse seine Freundschaft. Ich will mich nur mit ihm unterhalten. Weiter nichts.
Der Bus kommt, und die Leute fangen an einzusteigen. Ich gleite aus dem Auto, ohne dass wir ein weiteres Wort wechseln.
Als ich mich auf einem Fensterplatz hinter einer forschen Blondine niederlasse, die zu laut in ihr Handy quasselt, weiß ich plötzlich, was da mit meinem Magen los war. Das Gleiche habe ich nach Sex mit Nate empfunden,
in den letzten Tagen, bevor er mir wegen der Bäume umarmenden Klampfenspielerin den Laufpass gab. Es ist eine Mischung aus ehrlichen Gefühlen für einen anderen Menschen und Angst. Angst, etwas zu verlieren. In diesem Augenblick wird mir klar, dass ich ein Risiko eingehe, indem ich Dex erlaube, vorbeizukommen. Ich riskiere Freundschaft, und ich riskiere mein Herz.
Das Mädchen quasselt und quasselt und strapaziert die Worte«unglaublich»und«wahnsinnig», um ihr« bedauerlich kurzes»Wochenende zu beschreiben. Sie berichtet, sie habe eine«grässliche Migräne», weil sie« gnadenlos zugeschlagen»habe auf der«Promiparty». Gern würde ich ihr sagen, dass ihre Kopfschmerzen wahrscheinlich nachlassen, wenn sie leiser dreht. Ich hoffe, dass ihr Akku bald leer ist. Aber ich weiß, dass ich, selbst wenn sie mit ihrem schrillen Geschnatter aufhört, auf keinen Fall schlafen kann, solange dieses Gefühl in mir wächst. Es ist gut und schlecht gleichzeitig – als hätte ich zu viel Starbucks-Kaffee getrunken. Es ist gleichermaßen aufregend und beängstigend – als wartete ich darauf, dass eine Brandungswelle über meinem Kopf zusammenschlägt.
Etwas kommt auf mich zu, und ich tue nichts, um es zu verhindern.
Es ist Dienstagabend, zwanzig vor acht. Ich bin zu Hause. Ich habe den ganzen Tag nichts von Dex gehört; also nehme ich an, dass die Verabredung noch gilt. Ich putze mir die Zähne mit Bürste und Zahnseide. Ich zünde in der Küche eine Kerze an, denn vielleicht hängt
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