Fremd fischen
Annalise ihre Geschenke aus. Eine Menge gelbe Babykleidung ist dabei, denn Annalise weiß nicht, ob sie einen Jungen oder ein Mädchen bekommt. Also nichts in Rosa mit Ausnahme des rosa Sparschweinchens von Tiffany, das Darcy mitgebracht hat. Sie sei sicher, dass Annalise ein Mädchen zur Welt bringen wird, behauptet sie – sie habe einen sechsten Sinn für so was. Annalise hofft, dass sie Recht hat; das sehe ich ihr an.
« Außerdem», sagt Darcy,«selbst wenn ich mich irre – und ich irre mich nicht –, wusstet ihr, dass noch um die Jahrhundertwende Rosa für Jungs und Hellblau für Mädchen war?»
Wir alle sagen, dass wir das nicht gewusst haben. Ich frage mich, ob sie es gerade erfunden hat.
Annalise ist jetzt bei meinem Geschenk. Sie öffnet die Karte und murmelt vor sich hin. Ihre Augen füllen sich mit Tränen, als sie liest, was ich geschrieben habe: dass sie eine wundervolle Mutter sein wird und dass ich es nicht erwarten kann, das alles mitzuerleben. Sie winkt mich zu sich, wie sie es bei den anderen auch getan hat, und umarmt mich überschwänglich.«Danke, Süße», flüstert sie.«Das ist so nett.»
Dann packt sie mein Geschenk aus – eine Cashmeredecke
in gebrochenem Weiß mit einer Teddybärenborte. Ich habe ein Vermögen dafür ausgegeben, aber ich bin froh, dass ich so geprasst habe, als ich Annalises Gesicht sehe. Sie schnappt nach Luft, als sie die Decke auseinander faltet, sie drückt sie an die Wange und sagt, sie sei wunderbar und sie werde das Baby darin aus dem Krankenhaus nach Hause bringen.
« Ich will wieder herkommen, wenn sie geboren wird!», sagt Darcy.«Hoffentlich bin ich da nicht in den Flitterwochen!»
Ob sie es absichtlich tut oder ob es eine innere Schaltung ist, an der sie nichts ändern kann – Darcy muss sich in jeden Augenblick hineindrängen. Meistens macht es mir nichts aus, aber nachdem ich eine Ewigkeit gebraucht habe, um das perfekte Geschenk für meine zweitbeste Freundin zu finden, wünschte ich doch, sie würde eine Nanosekunde lang den Mund halten und aufhören, Annalise und mich in den Schatten zu stellen.
Diplomatisch wie immer lächelt Annalise ihr kurz zu, bevor sie sich wieder mir und der Babydecke zuwendet. Sie reicht sie herum, und alle finden, dass es die ideale erste Decke für das Baby sei, so hinreißend, so weich. Das sagen sie jedenfalls. Aber irgendetwas verrät mir, dass sie alle denken:«Keine üble Wahl für eine Anwältin mit fragwürdigem Mutterinstinkt.»
Als ich von der Party nach Hause komme, folgt meine Mutter mir ins Wohnzimmer und bombardiert mich mit Fragen. Ich informiere sie über die Highlights, aber sie ist unersättlich. Sie will alle Einzelheiten wissen, über jeden Gast, jedes Geschenk, jede Unterhaltung. Ich fühle mich unversehens wieder wie auf der High School, wenn ich nach Hause kam, erschöpft vom schulischen und sozialen Druck des Tages, und sie dann wissen wollte, wie Ethan sich im Debattierclub geschlagen oder wie Darcy im Ausscheidungswettbewerb als Cheerleader abgeschnitten habe oder worüber wir im Englischunterricht gesprochen hätten. Wenn ich nicht gesprächig genug war, füllte sie die Lücken selbst aus und schwatzte von ihrem Halbtagsjob beim Kieferorthopäden, erzählte, was für eine rüpelhafte Bemerkung Bryant Gumble in der Today Show gemacht habe oder dass sie im Supermarkt meiner Lehrerin aus der dritten Klasse über den Weg gelaufen sei. Meine Mutter ist eine hemmungslose Quasselstrippe, und sie erwartet, dass alle andern genauso sind wie sie, besonders ihr einziges Kind.
Als das Verhör über die Babyparty zu Ende ist, geht sie – was für eine Überraschung! – zur Hochzeit über.
« Hat Darcy sich schon für einen Schleier entschieden? »Sie schiebt einen Stapel Newsweek -Hefte auf dem Couchtisch zusammen und wartet auf eine eingehende Antwort.
« Ja.»
Sie rückt auf der Couch näher zu mir heran.« Lang?»
« Bis zu den Fingerspitzen.»
Sie klatscht aufgeregt in die Hände.«Oh. Darin wird sie schön aussehen.»
Meine Mutter ist ein großer Darcy-Fan. Immer gewesen. Damals auf der High School leuchtete das eigentlich nicht ein, wenn man bedachte, dass Darcy nie sehr viel Wert auf die Schule legte, sondern stattdessen auf eine gewisse, eher ungesunde Weise versessen auf Jungs war. Trotzdem liebte meine Mutter sie – schlicht und ergreifend. Vielleicht, weil Darcy sie mit den Einzelheiten aus unserem Leben versorgte, nach denen sie lechzte. Über die oberflächlichen Artigkeiten
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