Fremd fischen
hinaus, die gegenüber Eltern gepflegt werden, unterhielt Darcy sich mit meiner Mutter wie mit ihresgleichen. Nach der Schule kam sie mit mir nach Hause, lehnte sich an unsere Küchentheke, aß die Kekse, die meine Mutter für uns beide hingestellt hatte, und redete und redete. Sie erzählte meiner Mom von den Jungen, die sie gut fand, und erörterte die Pros und Kontras bei jedem einzelnen. Dann sagte sie zum Beispiel:« Seine Lippen sind zu dünn; ich wette, er kann nicht küssen», und meine Mom war entzückt und versuchte ihr mehr zu entlocken, und Darcy ließ sich nicht lange bitten. Ich ging dann schließlich in mein Zimmer und fing mit meinen Geometrie-Hausaufgaben an. Was stimmt an diesem Bild nicht?
« Mom, nichts gegen dich oder die zweite Tochter, die du nie hattest, aber – »
« Ach, fang nicht mit diesem Unsinn an!»Sie legt die flache Hand an ihr aschblondes Haar, das sie seit zwanzig Jahren mit der gleichen Clairol-Tönung färbt.
« Schon gut», sage ich.«Aber wirklich – Darcys
Hochzeit steht mir bis hier.»Ich halte die Hand zehn Zentimeter über meinen Kopf und hebe sie dann noch höher.
« Das ist nicht die richtige Einstellung für eine Ehrenjungfer. »Meine Mutter schürzt die Lippen und reibt mit einem Zeigefinger über den anderen.
Ich zucke die Achseln.
Meine Mom lacht. Eine gutmütige Mutter, die ihre einzige Tochter nicht allzu ernst nehmen will.«Na, ich hätte mir denken können, dass man mit Darcy als Braut alle Hände voll zu tun hat. Sicher will sie, dass alles perfekt ist …»
« Ja, und das verdient sie», sage ich sarkastisch.
« Tut sie auch», sagt meine Mutter.«Und du auch … deine Zeit wird schon noch kommen.»
« M-hm.»
« Hast du deswegen die Nase voll?», fragt sie mit der kennerhaften Miene einer Frau, die schon viel zu viele Talkshows gesehen hat, in denen es darum ging, sich seinen Gefühlen zu stellen und an seinen Beziehungen zu arbeiten.
« Nicht ganz», sage ich.
« Was heißt ‹nicht ganz›? Geht sie dir etwa …? Aber was frage ich da – natürlich tut sie das! So ist Darcy eben!»(Wieder ein liebevolles Glucksen.)
« Ja.»
« Ja was, Schatz? Was drückt dich?»
« Ja – sie geht mir auf den Zwickel.»Ich greife nach der Fernbedienung, um den Ton vom Fernseher laut zu stellen.
« Was tut sie denn?», fragt meine Mutter ruhig, aber beharrlich.
« Sie ist einfach Darcy», sage ich.«Alles dreht sich nur um sie.»
Meine Mutter schaut mich mitfühlend an.«Ich weiß, Kind.»
Und dann platze ich heraus, dass sie Dexter nicht verdient, dass er zu gut für sie ist. Meine Mutter sieht mich besorgt an. Oh, Scheiße, denke ich. Weiß sie Bescheid? Ethan und Hillary sind eine Sache, aber meine Mutter ist etwas ganz anderes. Ich hatte schon auf der High School keine Lust, ihr zu erzählen, welche Jungen ich süß finde, und in diesem Fall kommt es erst recht nicht infrage. Die Vorstellung, sie zu enttäuschen, ertrage ich nicht. Ich bin dreißig – aber immer noch möchte ich meinen Eltern Freude machen. Und meine Mutter, eine Frau, die in Kreuzstich-Weisheiten die Schlüssel zum Leben findet, würde diesen Verrat an der Freundschaft niemals verstehen.
Ich rede mich heraus.«Ihn treibt sie auch in den Wahnsinn, da bin ich sicher.»
« Hat Dexter dir das gesagt?»
« Nein, darüber habe ich mit Dex nicht gesprochen.»Genau genommen ist das die Wahrheit.«Aber man merkt es ihm an.»
« Na ja, du musst Geduld mit ihr haben. Du wirst es nie bereuen, eine gute Freundin zu sein.»
Ich bedenke diese goldenen Worte meiner Mutter. Dagegen ist wirklich kaum etwas einzuwenden. Tats ächlich habe ich ja mein ganzes Leben lang so gelebt. Habe um jeden Preis vermieden, dass ich etwas zu bereuen habe. Mich immer bemüht, gut zu sein, in jeder Hinsicht. Eine gute Schülerin. Eine gute Tochter. Eine gute Freundin. Aber plötzlich erkenne ich bestürzt, dass Reue auch in die andere Richtung weisen kann. Ich kann ebenso gut bereuen, dass ich mich selbst und meine eigenen Sehnsüchte für Darcy geopfert habe, im Namen der Freundschaft, um ein guter Mensch zu sein.
Und warum soll ich denn hier die Märtyrin sein? Ich sehe mich plötzlich allein mit fünfunddreißig, allein mit vierzig. Oder – noch schlimmer – wie ich mich mit einer langweiligen, verwässerten Version von Dex begnüge. Dex mit einem schwächeren Kinn und einem IQ, der zwanzig Punkte niedriger ist. Dann muss ich mich bis ans Ende meiner Tage fragen, was hätte sein können.
« Ja, Mom, ich
Weitere Kostenlose Bücher