Fremd küssen. Roman
hässlich und hatte eine Dornwarze am rechten Zeigefinger.
Ich bewundere Frauen, die hoch erhobenen Hauptes durchs Leben marschieren. Die ihrem Friseur aufs Maul hauen, wenn sie nach einem Termin bei ihm aussehen wie Tingeltangelbob aus den Simpsons. Die an der Haustür nicht zehn Zeitschriftenabos von einem pockennarbigen Kosovoalbaner kaufen, der behauptet, fünf Jahre unschuldig im Zuchthaus gesessen zu haben, und jetzt Unterstützung bei einem Neuanfang braucht. Ich möchte zu den Frauen gehören, bei denen man zusammenzuckt, wenn sie das Büro betreten. Wenn ich das Büro betrete, zucke nur ich zusammen, weil mir siedend heiß einfällt, dass ich vergessen habe, belegte Brötchen für alle mitzubringen, und mir der Hass der anderen schon am Redaktionseingang entgegenschlägt.
Richard ist übrigens sehr glücklich. Er war bei dieser Transen-Outing-Party in Dotzelberg und hat dort jemanden kennen gelernt. Natascha heißt seine Eroberung. Eigentlich Dietmar. Aber Natascha klingt
irgendwie ein Stück weit weiblicher. Ein Foto hat Richard auch. Natascha sieht ganz nett aus. Rosa Kleidchen, Stöckelschuhe, echt wirkender Busen und eine blonde Perücke. Richard nennt sich in der Szene jetzt Lolita. Er findet das sehr passend. Ich nicht, aber ich widerspreche nicht. Roswitha oder Mechthild würde besser passen, aber das ist seine Sache. Jedenfalls wird er Dietmar-Natascha bald mal mitbringen, wenn ich nichts dagegen habe. Habe ich nicht.
Nebenbei läuft »Notting Hill« mit Julia Roberts und Hugh Grant. Ich liebe diesen Film. Vielleicht, weil es mir nicht so geht wie den beiden. Am ergreifendsten ist die Szene, wo Hugh und seine Clique sich in das kleine Auto des einen Freundes quetschen, um mit quietschenden Reifen zu dieser Pressekonferenz zu fahren, die Julia gibt. In letzter Sekunde kommt Hugh noch dort an und irgendwann sagt Julia auf die Frage, wie lange sie noch in England zu bleiben gedenkt, strahlend: »Für immer.« Ihr Gesicht in Großaufnahme, die Liebe springt förmlich in die Kamera, und alle lachen, jubeln und freuen sich. Das möchte ich auch einmal erleben. Aber ich wette, jeder Mann, zu dem ich strahlend sage »Ich bleibe bei dir für immer«, rennt panisch und verzweifelt weg und lässt mich in seiner unaufgeräumten Wohnung zurück, in der sich das schmutzige Geschirr stapelt. Doof wie ich dann bin, putze ich erst noch alle Fenster und spüle, sauge und staube ab, bevor ich gehe. Um dann nie wieder was von ihm zu hören.
15
Ich fühle mich relativ fit am Montagmorgen und frage mich, woran das wohl liegen könnte. Irgendwann dämmert es mir: Ich habe am Abend zuvor keinen Alkohol getrunken. Das macht mir Angst. Also nicht, dass ich keinen Alkohol getrunken habe, sondern dass ich offenbar sonst nie fit bin. Ab sofort trinke ich überhaupt keinen Alkohol mehr! Oder nur noch manchmal, aber nie wieder in rauen Mengen. Ein gepflegtes Glas Wein verlängert angeblich sogar das Leben und hat noch nie jemandem geschadet, wohl aber sechs Flaschen am Stück. Aber so viel hab ich noch nie getrunken. Nur ein paar Mal. Nein, es waren keine sechs. Es waren sieben.
Zum Glück ist heute im Sender alles ruhig und nichts passiert. Heute Nachmittag werde ich pünktlich gehen und mal ganz alleine einen Stadtbummel machen. Irgendwie überkommt mich ein schlechtes Gewissen, wenn ich an Susanne denke. Bin ich wirklich dafür verantwortlich, dass sie es mit einem Callboy gemacht hat? Aber am allerschlimmsten finde ich die Tatsache, dass der biedere Michael sich auspeitschen lässt und es offensichtlich, ja, ganz offensichtlich, auch noch endlos geil findet. Gute Güte, wie er da hing in seinen Fesseln. Ich mag an den Abend gar nicht mehr denken, muss es aber gezwungenermaßen, weil mein Telefon klingelt. Das Nächste, was ich höre, sind gutturale Laute, die in ein Kreischen münden. Es ist Gero. Ich kann nur leider nicht verstehen, was er sagt, und lege schnell auf. Natürlich klingelt das Telefon gleich wieder. Es ist wieder Gero. »Sag mal, bist du eigentlich völlig übergeschnappt? Wie konntest du das zulassen? Wieso hab ich dich jemals meine Freundin genannt? Das ist das Allerletzte!!!« und so weiter und so weiter. Ich versuche mich zu rechtfertigen, was mir aber wie immer nicht gelingt. Gero ist fix und fertig. Ich höre Tom im Hintergrund laut heulen. Heiliger Strohsack. »Jetzt warte mal!«, schreie ich zurück. »Ich kann nichts dafür, dass Tom sich vor einen Mönch kniet und sich ein Branding
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