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Fremd küssen. Roman

Fremd küssen. Roman

Titel: Fremd küssen. Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steffi von Wolff
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lass sie einfach bloß keine Zeit gehabt haben, ins Solarium zu gehen. Der Flug dauert etwas über eine Stunde. Ich bin danach reif für die Psychiatrie. Ja, wir hatten Turbulenzen.
    Ob man schon ohnmächtig wird, wenn das Flugzeug sich im Absturz befindet? Oder ist der Druckausgleich so geregelt, dass man bis zum Schluss alles mitbekommt? Werden wir noch mitbekommen, wie wir auf dem Boden aufschlagen? Wo werden wir aufschlagen? In einem Wohngebiet? Über dem Hessen-Center? Auf der A 66 ? Was passiert dann mit unserem Gepäck? Wer wohl alles zu meiner Beerdigung kommen wird? Gibt es überhaupt eine Beerdigung, wenn ich nicht mehr zu identifizieren bin, oder nur eine Trauerfeier? Wer bezahlt das? Was wird aus meinen Möbeln?
    Die Maschine landet planmäßig in Frankfurt. Der Pilot entschuldigt sich für die Turbulenzen und den unruhigen Flug und hofft, uns bald wieder an Bord begrüßen zu können. Der kann mich mal. Ich will nur noch nach Hause.
     
    Als ich meinen Anrufbeantworter abhöre, bekomme ich eine Gänsehaut. Susanne, Marius und Michael, Susannes Mann, haben angerufen. Alle drei hintereinander, als hätten sie sich abgesprochen. Zum Glück war mein Handy aus. Ich traue mich nicht zurückzurufen, aber Michael scheint es sehr schlecht zu gehen, er bittet mich, ihn morgen in der Klinik anzurufen. Susanne klingt angestrengt normal und Marius ganz normal. Eher zynisch. Noch nicht mal schuldbewusst. Frechheit. Erst lassen sie einen tagelang schmoren und dann tun sie so, als ob nichts gewesen wäre. Ich beschließe, außer Michael niemanden zurückzurufen.
    Das Telefon klingelt. Es ist nur Pitbull, der fragt, ob ich gut heimgekommen bin. Bin ich. Meine Knie wackeln noch wie Pudding wegen des Fluges, aber sonst alles gut. Danke. Kaum lege ich auf, klingelt es wieder. Bestimmt wieder Pitbull.
    »Hallo, Carolin.« Es ist Marius. Ich bin unfähig zu antworten und starre eine vertrocknete Zimmerpflanze an. Ein Staubfänger. Hätte ich gießen müssen. Habe ich vergessen. Ist doch egal jetzt. »Hallo? Carolin?« Marius wieder.
    »Ja … « Mehr kann ich nicht sagen. Beim besten Willen nicht. Es ist auch eher ein Krächzen.
    »Bitte hör mir jetzt einfach mal zu. Ich habe Tag und Nacht an dich gedacht. Ich habe auch mit Susanne gesprochen. Ich weiß, dass du jetzt von uns ganz mies denkst. Aber ich kann alles erklären … « Stopp!
    Nein.
    Nicht dieser Satz.
    Ich kann alles erklären.
    Verarschen kann ich mich selbst. Aber hallo. Dazu brauche ich meine beste Freundin nicht, Entschuldigung, meine ehemals beste Freundin nicht, und auch nicht den Mann, in den ich mich total und rettungslos verknallt habe. Mit »Ich kann alles erklären« hat er sich selbst sein Grab geschaufelt. Wer »Ich kann alles erklären« ruft, hat bei mir verloren. Dieser Satz ist die bodenloseste Unverschämtheit, die es gibt. Frau kommt nach Hause, Mann liegt mit einer Schnalle in der Kiste, beide stöhnen wie nach dem Genuss von acht Supersparmenüs bei McDonald’s und schwitzen in
meiner
Bettwäsche, er blickt auf und sagt: »Ich kann alles erklären.« Oder: Frau checkt heimlich die E-Mails des Mannes, weil sie sich sein Passwort erschlichen hat, findet anzügliche Botschaften und Liebeserklärungen mit »Danke für die heiße Nacht« oder »Ich war tagelang wund nach diesem Fick«, spricht ihn darauf an und er winkt ab mit dem Satz: »Ich kann alles erklären.« Wer
das
sagt, lügt hundertprozentig.
    Und deswegen sage ich eiskalt zu Marius: »Du musst mir gar nichts erklären. Und wag es nicht, mich noch einmal anzurufen.«
    Sein »Aber Carolin, nun hör mir doch wenigstens zwei Minuten zu« geht im Auflegen des Hörers unter.
     
    Danach fühle ich mich richtig gut. Die Tränen kommen bestimmt nur von den Kontaktlinsen, die ich zu lange in den Augen hatte. Und der Depressionsanfall vom Jetlag. Ganz sicher.
    Das Telefon klingelt den ganzen Abend. Ich habe den Anrufbeantworter abgeschaltet und genieße es, das Läuten zu hören.
    Eigentlich genieße ich es nicht. Aber ich bin zu stolz, um abzuheben.

20

    Montagmorgen. Gang auf die Waage. Das gibt’s doch nicht. Ich wiege 66 Kilo. Die Waage muss kaputt sein. Ich hebe sie hoch und schüttele sie, um mich dann noch mal draufzustellen. Es sind immer noch 66 Kilo. Ich kann noch nicht mal an einem Rädchen drehen, denn es ist eine Digitalwaage. Vielleicht sind die Batterien zu schwach. Hektische Suche nach neuen Batterien. Neue Batterien reingelegt. Immer noch 66 Kilo. Ich bin am Ende. Dabei habe

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