Fremd küssen. Roman
mir entsetzlich scheinheilig vor.
»Sie hat sich Strapse gekauft und so durchsichtige Teile und hochhackige Schuhe und rasiert sich regelmäßig die Beine – ich merke das an meinen stumpfen Rasierern – und sie rennt fast jeden Tag zum Friseur und letztens hat sie 500 Euro nur für Kosmetik ausgegeben.«
»Na, dass Susanne viel Geld ausgibt, das ist doch nichts Neues«, sage ich. »Aber woher weißt du, dass es 500 Euro waren?«
»Ich hab geschnüffelt«, gibt Michael zu. »Und ich habe auch eine Telefonnummer gefunden. Schau, hier!« Er kramt in seiner Tasche und holt einen verknüllten Zettel hervor. Eine kalte Hand legt sich um mein Herz, als ich Marius’ Nummer darauf entdecke. Aber ich bleibe ganz cool und verrate mich nicht. »Wer ist das?«, frage ich.
Michael zuckt mit den Schultern. »Ich habe mich noch nicht getraut anzurufen«, gesteht er. »Kannst du das nicht mal tun?«
Ach du liebe Zeit. Das fehlte noch. »Mal sehen«, sage ich langsam. »Aber sag mal, was ist denn los mit eurer Ehe? Von irgendwoher muss das doch kommen.«
»Du kennst doch Susannes Putzfimmel«, antwortet er resigniert. »Vor zwei Monaten oder so haben wir das letzte Mal zusammen geschlafen. Ich dachte – he, endlich mal wieder. Aber sie fing schon vor dem Vorspiel,
vor
dem Vorspiel damit an, dass ich bloß aufpassen soll wegen der Flecken und dass ich ihre Frisur nicht durcheinander bringen soll und ob ich im Bad nach dem Duschen die Shampooflasche zugemacht hätte und das Handtuch über die Heizung gelegt hätte und dass sie in einer Viertelstunde aufstehen müsste, um den Mülleimer auszuwaschen. Und das Ganze mit einer so dominanten Stimme, dass mir alles vergangen ist.«
»Ich dachte, du stehst auf dominante Frauen«, rutscht es mir heraus. Ich könnte mir die Zunge abbeißen und werde knallrot.
Michael starrt mich an. »Wie bitte?«, fragt er.
Ich werde noch röter. Scheiße. Scheiße. Caro, du dumme Nuss. Wie kann man nur so dämlich sein wie ich. »Och, nichts«, sage ich. Michael richtet sich auf. »Ich wusste es«, sagt er. »Du warst es doch! Ich hab dich erkannt. Du warst auf Burg Schreckenstein!«
Gleich wird das Blut durch meine Hautporen spritzen. »Ja« ist alles, was ich herausbringe. Dann erzähle ich ihm, warum ich auf der Burg war und wobei ich ihn beobachtet habe.
Er wird aber gar nicht sauer, sondern wirkt eher erleichtert. »Drei Jahre lang«, flüstert er. »Drei Jahre lang hab ich gedacht, ich sei nicht ganz normal. Bis ich irgendwann nicht mehr konnte. Hältst du mich jetzt für pervers?«
Ich schüttele den Kopf und meine es ernst. Ich hab eine andere Einstellung dazu bekommen. »Ich finde es nicht schlimm«, sage ich. »Aber Susanne weiß nichts davon! Ich kann es ihr nicht erzählen. Sie würde denken, ich sei total krank oder so was.« Michael ist wirklich verzweifelt. Dann legt er los. Wie er seine devote Ader entdeckt habe und dass er einen so anstrengenden Beruf habe und so viel Verantwortung und dass das Devotsein ihm etwas von der Last der Verantwortung genommen habe und so weiter. Außerdem habe er festgestellt, dass er auch masochistische Züge besäße. Zwar nicht so ausgeprägt, aber sie seien vorhanden.
Ich höre ihm einfach nur zu und muss an Ruth denken und an ihre Worte, dass es gut ist, wenn man seine Wünsche in der Sexualität auslebt. Sie hat einfach nur Recht. Und während Michael erzählt und erzählt, denke ich darüber nach, dass es schon komisch ist, wie sich mein ganzes Leben in ein paar Wochen verändert hat. Ich habe unter anderem das erste Mal wirklich das Gefühl, einen netten Freundeskreis zu haben. Gero ist ja schon lange mein Allerliebster, aber jetzt ist noch Tom dazugekommen, Pitbull ist ein Schatz und würde mich nie im Stich lassen, das weiß ich, und Richard hat sich auch zu einem wirklichen Freund entwickelt. Von seiner Hilfsbereitschaft mal ganz abgesehen. Und auch Ruth und Iris kann ich total gut leiden. Mich stört es auch überhaupt nicht, dass Iris Sex fast ausschließlich professionell sieht und Ruth eine Domina ist. Sei es drum. Bevor jemand darüber urteilt, sollte er vor seiner eigenen Stube kehren! Jawohl! » … und dann hat sie gesagt: ›Dann werde ich dich wohl fesseln müssen und es gibt 100 auf den nackten Hintern und du zählst mit!‹ Und ich hab nichts dagegen gehabt.«
Oh, hab gar nicht mehr zugehört. »Und dann?« Diese Frage ist immer gut.
»Na ja, sie hat es dann getan. Und ich fand es toll. Seitdem gehe ich regelmäßig zu
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