Fremde Blicke
folgten ihm durch den kleinen Flur. Alkoholgeruch hing in der Luft.
Bj0rks kleine Wohnung war gut geschnitten, sie bestand aus einem geräumigen Wohnzimmer, einem Schlafalkoven und einer Kochnische mit Blick auf die Straße. Die Möbel paßten nicht zueinander, sie schienen aus mehreren Wohnzimmern zusammengestellt worden zu sein. An der Wand, über einem alten Schreibtisch, hing das Bild eines kleinen Mädchens. Sie war vielleicht acht Jahre alt. Ihre Haare waren dunkler, ansonsten hatte sie sich im Laufe der Jahre kaum verändert. Es war S0lvi. An einer Ecke war am Rahmen eine rote Schleife befestigt.
Plötzlich entdeckten die Besucher einen Schäferhund, der ganz still in einer Ecke lag und sie hellwach anstarrte. Der Hund hatte sich nicht bewegt und auch nicht gebellt, als sie das Zimmer betreten hatten.
»Was hast du mit dem Hund angestellt?« fragte Sejer. »Bei meinem ist mir das noch nicht gelungen. Der rennt die Leute über den Haufen, sowie sie den Fuß in die Wohnung setzen, und macht einen solchen Lärm, daß es noch im Erdgeschoß zu hören ist. Und ich wohne im zwölften Stock«, fügte er hinzu.
»Dann hängt er viel zu sehr an dir«, sagte Bj0rk kurz.
»Du darfst einen Hund nicht behandeln, als ob du auf der Welt sonst nichts hättest. Aber vielleicht ist das bei dir ja der Fall?«
Er lächelte ironisch, musterte Sejer aus zusammengekniffenen Augen und ging offenbar nicht davon aus, daß das weitere Gespräch in einem ebenso lockeren Tonfall ablaufen würde. Er hatte kurzgeschnittene, ungewaschene, fettige Haare und kräftigen Bartwuchs. Ein dunkler Schatten zog sich über seine untere Gesichtshälfte.
»Na gut«, sagte er dann. »Und jetzt wollt ihr wissen, ob ich
Annie gekannt habe.« Er zog sich diese Frage wie eine Fischgräte aus dem Mund. »Sie war mehrmals zusammen mit S0lvi hier in der Wohnung. Kein Grund, das zu verschweigen. Und dann hat Ada Wind davon bekommen und der Sache ein Ende gesetzt. S0lvi ist gern hergekommen. Ich weiß nicht, was Ada mit ihr gemacht hat, sieht aus wie eine Art Gehirnwäsche. Jetzt hat S0lvi kein Interesse mehr. Jetzt ist für sie Holland angesagt.« Er strich sich übers Kinn und fuhr, als seine Besucher schwiegen, fort: »Glaubt ihr vielleicht, ich hätte Annie umgebracht, um mich zu rächen? Gott soll mich schützen, das habe ich nicht getan. Ich habe nichts gegen Eddie Holland, und ich gönne nicht einmal meinem Rivalen, daß er ein Kind verliert. Das ist mir nämlich passiert. Heute bin ich kinderlos. Aber ich mag einfach nicht mehr kämpfen. Ich muß ja zugeben, natürlich ist mir der Gedanke gekommen, daß sie jetzt weiß, wie es ist, ein Kind zu verlieren, diese alte prüde Kuh. Jetzt weiß sie verdammt gut, wie das ist. Und meine Möglichkeiten, Kontakt zu S0lvi aufzunehmen, sind geringer denn je. Von jetzt ab wird Ada wie eine Glucke auf ihr sitzen. Und in diese Lage hätte ich mich selber nie gebracht!«
Sejer saß ganz still da und hörte zu. Bj0rks Stimme war scharf und ätzend wie Säure.
»Und wo ich mich zum fraglichen Zeitpunkt aufgehalten habe? Annie wurde Montag gefunden, nicht wahr? Irgendwann gegen Mittag, wenn ich den Zeitungsbericht richtig in Erinnerung habe. Dann ist die Antwort: Hier, in dieser Wohnung, ohne Alibi. Vermutlich war ich blau, das bin ich meistens, wenn ich nicht zur Arbeit muß. Ob ich gewalttätig bin? Durchaus nicht. Stimmt, ich habe Ada geschlagen, aber sie hat das mit aller Macht provoziert. Genau das wollte sie. Sie wußte, daß sie das Gericht auf ihrer Seite haben würde, wenn ich einmal zu weit gegangen wäre. Ich habe sie einmal geschlagen, mit der Faust. Das war einfach ein Impuls. Es war wirklich das einzige Mal in meinem Leben, daß ich zugeschlagen habe. Ich hatte Pech, ich habe einen vollen Treffer gelandet, habe ihr den Kiefer gebrochen und mehrere Zähne ausgeschlagen, und S0lvi saß auf dem Boden und hat alles gesehen. Ada hatte alles so arrangiert. Sie hatte S0lvis Spielzeug im Wohnzimmer verteilt, damit S0lvi auch ja zugegen war, und sie hatte den Kühlschrank mit Bier gefüllt. Und dann hat sie einen Streit vom Zaun gebrochen. Das konnte sie sehr gut. Und sie hat erst aufgehört, als ich durchgedreht bin. Ich bin voll in die Falle gelaufen.«
Unter seiner Bitterkeit versteckte sich eine Art Erleichterung, vielleicht weil ihm endlich jemand zuhörte.
»Wie alt war S0lvi bei Ihrer Scheidung?«
»Fünf. Ada hatte schon ein Verhältnis mit Holland und wollte S0lvi für sich behalten.«
»Das ist
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