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Fremde Blicke

Fremde Blicke

Titel: Fremde Blicke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Fossum
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sehr lange her. Kannst du nicht endlich damit abschließen?«
    »Mit seinen Kindern schließt man nicht ab.«
    Sejer biß sich auf die Lippe. »Und dann wurdest du beurlaubt?«
    »Ich habe zu oft zu tief ins Glas geschaut. Habe Frau und Kind und Job und Haus und die Achtung der Leute verloren. So gesehen«, sagte Bj0rk mit bitterem Lächeln, »hätte es kaum noch eine Rolle gespielt, wenn ich noch dazu zum Mörder geworden wäre. Kaum eine Rolle.« Sein Lächeln hatte plötzlich etwas Teuflisches. »Aber dann hätte ich sofort zugeschlagen, statt all die Jahre zu warten. Und dann hätte ich, um ehrlich zu sein«, fügte er hinzu, »lieber Ada umgebracht.«
    »Worüber habt ihr euch gestritten?« fragte Skarre neugierig.
    »Über S0lvi.«
    Bj0rk verschränkte die Arme und starrte aus dem Fenster, so als ob draußen die Erinnerungen vorüberzögen. »S0lvi hat nun einmal ihre Art, das war schon immer so. Ihr kennt sie doch sicher inzwischen, ihr habt also gesehen, was aus ihr geworden ist. Ada wollte sie immer beschützen. S0lvi ist nicht besonders selbständig, vielleicht sogar wirklich ein bißchen einfältig. Hat ein ungesundes Interesse an Jungen, will auf andere unbedingt attraktiv wirken. Und Ada möchte, daß S0lvi so bald wie möglich einen Mann findet, der sich um sie kümmern kann. Ich habe noch nie in meinem Leben gesehen, wie ein Mädchen dermaßen ins Elend hineingedrängt wurde. Ich habe versucht, Ada klarzumachen, daß S0lvi das genaue Gegenteil braucht. Sie braucht Selbstvertrauen. Ich wollte mit ihr angeln gehen und so, mit ihr Holz hacken, Fußball spielen und zelten. Sie braucht physische Anstrengung, muß es mal aushalten können, daß ihre Frisur nicht glatt liegt, ohne gleich in Panik zu geraten. Jetzt hampelt sie den ganzen Tag in ihrem Frisiersalon herum und starrt in den Spiegel. Ada hat mir irgendeinen Komplex unterstellt. Daß ich mir eigentlich einen Sohn gewünscht hätte und meine Tochter einfach nicht akzeptieren könnte. Wir haben uns dauernd gestritten«, er seufzte, »unsere ganze Ehe hindurch. Und danach ging es auch noch weiter.«
    »Wovon lebst du heute?«
    Bj0rk starrte Sejer düster an. »Das weißt du doch bestimmt schon. Ich arbeite bei einem privaten Wachdienst. Renne nachts mit Köter und Taschenlampe durch die Gegend. Das ist in Ordnung. Ein bißchen wenig Action, natürlich, aber davon hab ich wohl schon genug abbekommen.«
    »Wann waren die Mädchen zuletzt hier?«
    Bj0rk rieb sich die Stirn, wie um das Datum aus der Tiefe seiner Gedanken hochzuwirbeln. »Irgendwann letzten Herbst. Annies Freund war auch dabei.«
    »Und seither hast du die Mädchen nicht mehr gesehen?«
    »Nein.«
    »Warst du bei ihnen zu Hause, um nach S0lvi zu fragen?«
    »Mehrmals. Und jedesmal hat Ada die Polizei angerufen. Behauptet, ich drängte mich auf. Bedrohte sie. Ich kriege Probleme beim Job, wenn es noch mehr Ärger gibt, ich mußte mich einfach geschlagen geben.« »Was ist mit Holland?«
    »Holland ist in Ordnung. Eigentlich glaube ich, er findet das alles ziemlich scheußlich. Aber er ist eben ein Waschlappen. Ada hat ihn total im Griff, so ist das. Er tut, was ihm aufgetragen wird, und deshalb gibt es bei ihnen nie Streit. Du hast mit ihnen geredet, du hast doch sicher gesehen, was da läuft.«
    Er sprang auf, kehrte dem Fenster den Rücken und richtete sich zu voller Größe auf.
    »Ich weiß nicht, was mit Annie passiert ist«, sagte er leise. »Aber ich hätte es eher verstanden, wenn es S0lvi passiert wäre. Sie ist so sagenhaft leichtgläubig.«
    Sejer starrte ihn neugierig an und fragte sich, warum alle Welt dasselbe sagte. Wenn es S0lvi gewesen wäre. Als sei das Ganze ein Mißverständnis und Annie nur durch ein Versehen umgebracht worden.
    »Hast du ein Motorrad, Bj0rk?«
    »Nein«, sagte Bj0rk verwundert. »Früher hatte ich eins. Es stand bei einem Bekannten in der Garage, und am Ende habe ich es dann verkauft. Eine Honda 750. Ich habe nur noch den Helm.«
    »Was ist das für ein Helm?«
    »Der hängt auf dem Flur.«
    Skarre schaute hinaus und betrachtete den Helm, einen schwarzen Vollhelm mit rußgrauem Visier.
    »Auto?«
    »Ich fahre einen Peugeot, gehört der Firma. Ich habe eine Menge Erfahrung«, sagte er unvermittelt und blickte seine Besucher an. »Ich habe das Mutter-und-Kind-Phänomen aus nächster Nähe gesehen. Es ist eine Art heiliger Pakt, in den niemand einbrechen kann. Ada und S0lvi zu trennen wäre schwieriger, als siamesische Zwillinge mit bloßer Faust

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