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Fremde Blicke

Fremde Blicke

Titel: Fremde Blicke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Fossum
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dem liegen übrigens lauter Schafskadaver. Na, über Geschmack läßt sich nicht streiten.«
    »Haben Sie Annie Holland gekannt?«
    »Ihren Vater. Damals, als ich noch die Tankstelle hatte. Ich habe manchmal seinen Wagen repariert.«
    »Sie hatten Tankstelle und Werkstatt?«
    Der Mann zog die Decke höher und nickte. »Er hatte zwei Töchter. Blonde, hübsche Mädels.«
    »Annie Holland ist tot.«
    »Das weiß ich. Ich lese schließlich die Zeitung.«
    Er nickte zum Boden hin, wo unter dem Nachttisch ein Stapel Zeitungen und verschiedene Blättchen mit sehr viel bunterem Glanzpapier verstaut waren.
    »Gestern hat ein Mann hier auf dem Hof mit Raymond gesprochen. Haben Sie ihn gesehen?«
    »Ich habe nur Gemurmel gehört. Raymond ist vielleicht nicht besonders hell im Kopf«, sagte der Alte mit scharfer Stimme, »aber in ihm gibt es keinen Funken von Bosheit. Verstehen Sie? Er ist so lieb, den können Sie an einem Wollfaden lenken. Er tut, was ihm gesagt wird.«
    Raymond nickte eifrig und kratzte sich am Bauch.
    Sejer fing den Blick der hellen Augen ein. »Das weiß ich«, sagte er leise. »Sie haben also Gemurmel gehört? Und Sie konnten der Versuchung widerstehen, ein wenig am Vorhang zu zupfen?«
    »Ja.«
    »Sie sind wohl nicht besonders neugierig, Lake?«
    »Nein, bin ich nicht. Wir kümmern uns um unsere eigenen Angelegenheiten, nicht um die von anderen.«
    »Wenn nun ganz vage die Möglichkeit besteht, daß der Mann auf dem Hof etwas mit dem Mord an der kleinen Holland zu tun hat - verstehen Sie dann, wie ernst die Sache ist?«
    »Gerade dann. Ich habe nicht aus dem Fenster geschaut, ich habe Zeitung gelesen.«
    Sejer sah sich schaudernd in dem Zimmerchen um. Es roch nicht besonders gut, vermutlich arbeiteten die Nieren nicht mehr richtig. Es hätte saubergemacht werden müssen, jemand hätte das Fenster aufreißen und dem Alten ein heißes Bad verpassen müssen. Sejer nickte, ging hinaus an die frische Luft und atmete mehrmals tief durch. Raymond trottete hinterher und schlug die Arme übereinander, während Sejer sich ins Auto setzte.
    »Ist dein Auto jetzt wieder in Ordnung, Raymond?«
    »Papa sagt, ich brauche eine neue Batterie. Und die kann ich mir nicht leisten. Kostet über vierhundert. Ich fahre nie auf der Hauptstraße«, fügte er rasch hinzu. »Jedenfalls fast nie.«
    »Das ist gut. Geh wieder ins Haus, du frierst doch.«
    »Ja.« Raymond klapperte mit den Zähnen. »Und ich habe doch meine Jacke weggegeben.«
    »Das war wohl nicht so besonders gescheit?« meinte Sejer.
    »Ich mußte das aber machen«, antwortete Raymond traurig. »Sie war doch ganz nackt.«
    »Was?« Sejer starrte ihn überrascht an. Die Leiche war mit Raymonds Jacke zugedeckt gewesen!
    »Hast du sie zugedeckt?« fragte er.
    »Sie hatte doch gar nichts an«, antwortete Raymond und bohrte die Pantoffelspitze in die Erde.
    Er hatte eben gedacht, sie friere und müsse zugedeckt werden. Die hellen Haare stammten vielleicht von den Kaninchen. Er steckte sich ein Bonbon in den Mund. Sejer blickte ihm in die Augen, die Augen eines Kindes, rein wie Quellwasser. Aber er hatte Muskeln wie Weihnachtsschinken. Unwillkürlich schüttelte Sejer den Kopf.
    »Das war nett von dir«, sagte er und blickte Raymond forschend an. »Habt ihr miteinander geredet?«
    Raymond machte ein verdutztes Gesicht, sein Engelsblick flackerte ein wenig, er schien die Falle zu ahnen.
    »Du hast doch gesagt, daß sie tot war!«
    Danach, als Sejer gefahren war, schlich Raymond sich zur Garage hinüber. Caesar lag in der Ecke unter einem alten Wollpullover und atmete noch immer.
    Skarre benutzte für Routineschreibarbeiten und Berichte einen Micro Ballpen Nr. 5, der für gewöhnlich unter einem Schulterstück seines Hemdes hervorlugte. Er lächelte zufrieden und summte »Jesus on the line« vor sich hin. Das Leben war schon in Ordnung und ein Mordfall sehr viel spannender als ein bewaffneter Überfall. Bald kam der Sommer. Und da stand der Chef und winkte mit einem Sahneeis. Rasch schob Skarre die Papiere beiseite und nahm das Eis entgegen.
    »Die Windjacke«, sagte Sejer, »mit der die Leiche zugedeckt war, die gehört Raymond.«
    Vor lauter Überraschung ließ Skarre das Eis fallen.
    »Aber ich glaube ihm, daß er sie auf dem Heimweg zugedeckt hat, nachdem er Ragnhild nach Hause gebracht hatte. Er hat das gemacht, weil sie nackt war. Ich habe Irene Album angerufen, und Ragnhild besteht darauf, daß die Jacke vorher noch nicht da war. Jedenfalls ist es seine Jacke. Wir

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