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Fremde Blicke

Fremde Blicke

Titel: Fremde Blicke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Fossum
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vielleicht groß genug war, um ...
    »Haben Sie schon etwas gefunden?« fragte Fritzner neugierig.
    »Natürlich. Wir haben doch die stummen Zeugen. Sie wissen schon, tausend Kleinigkeiten, die herumliegen. Alle hinterlassen irgend etwas.«
    Skarre musterte Fritzner, als er das sagte. Der Mann hatte eine Hand in der Tasche, und durch den Hosenstoff hindurch war deutlich zu sehen, daß diese Hand zur Faust geballt war.
    »Alles klar. Wissen Sie übrigens, daß hier im Dorf ein Idiot wohnt?«
    »Verzeihung?«
    »So ein hirngeschädigter Typ wohnt mit seinem Vater oben im Kollevei. Der scheint sich sehr für Mädchen zu interessieren.«
    »Raymond Lake. Ja, sicher, das wissen wir. Aber er ist nicht hirngeschädigt.«
    »Ach nein, ist er das nicht?«
    »Er hat ein Chromosom zuviel.«
    »Mir kommt es eher so vor, als ob er von irgendwas zu wenig hätte, wenn Sie mich fragen.«
    Skarre schüttelte den Kopf und schaute wieder zu dem Haus der Hollands hinüber, zu dem verhangenen Fenster.
    »Was meinen Sie, warum kriecht eine Kreuzotter in einen Schlafsack?«
    Fritzner riß die Augen auf. »Himmel, Sie wissen aber auch alles. Ich habe mich das auch schon gefragt. Ich hatte die Sache eigentlich schon vergessen, dabei war es ein ziemliches Drama, das kann ich Ihnen sagen. Aber es ist doch ein hervorragendes Versteck, nicht wahr? Es war ein Ajungilak mit Daunen und allen Schikanen. Ich saß mit einem Whisky hier in der Jolle, als ihr Freund vor der Tür stand. Sie hatten wohl gesehen, daß hier noch Licht brannte. Annie stand in einer Zimmerecke, weiß wie ein Laken. Sonst war sie immer ziemlich keß, aber damit war in diesem Moment Schluß. Sie war wirklich außer sich vor Angst.«
    »Wie haben Sie das Vieh erledigt?« fragte Skarre neugierig.
    »Ach, mein Lieber, das war kein Problem. Mit meinem Putzeimer. Zuerst habe ich mit einer Ahle ein Loch in den Boden gestochen, vielleicht so groß wie ein Zehnörestück. Dann habe ich mich in ihr Zelt geschlichen. Die Schlange steckte nicht mehr im Schlafsack, sie war in eine Ecke gekrochen und hatte sich aufgerollt. Ein ziemlicher Brocken. Ich habe einfach den Eimer über sie gestülpt und den Fuß darauf gesetzt. Und dann habe ich Baygon durch das Loch gespritzt.«
    »Was ist das?«
    »Ein sehr giftiger Insektentöter. Ist im normalen Handel nicht erhältlich. Die Schlange war sofort betäubt.«
    »Wie kommen Sie an solche Mittel?«
    »Ich arbeite bei Anticimex. Schädlingsbekämpfung. Fliegen und Kakerlaken und solche Kriechtiere.«
    »Ach so. Und dann?«
    »Dann hat dieser Hänfling ein Tranchiermesser geholt, und ich habe das Mistvieh in der Mitte durchgeschnitten und die beiden Hälften in meine Mülltonne geworfen. Annie tat mir wirklich leid. Sie traute sich nachher fast nicht, sich in ihr eigenes Bett zu legen.« Er schüttelte den Kopf bei dieser Erinnerung. »Aber Sie sind doch sicher nicht gekommen, um sich nach meiner Karriere als Superman zu erkundigen? Was kann ich also für Sie tun?«
    »Na ja«, Skarre strich sich eine Locke aus der Stirn, »der Chef sagt, wir müßten den Druck immer zweimal messen.«
    »Ach was? Na, mein Druck ist recht stabil. Aber im Grunde habe ich es noch gar nicht begriffen, daß wirklich jemand Annie umgebracht hat. Ein ganz normales Mädchen. Hier, in diesem Dorf, dieser Straße. Ihrer Familie geht es auch nicht anders. Jetzt werden sie Annies Zimmer jahrelang nicht anrühren, es wird so aussehen wie an dem Tag, an dem sie es verlassen hat. So etwas habe ich schon häufiger gehört. Meinen Sie, dahinter kann der unbewußte Wunsch stecken, daß sie eines Tages wieder auftaucht?«
    »Vielleicht. Gehen Sie zur Beerdigung?«
    »Das ganze Dorf kommt. So ist es eben in kleinen Orten. Da läßt sich nichts im geheimen durchführen. Alle glauben, sie hätten ein Recht auf Teilnahme. Das hat seine Vor- und
    Nachteile. Es ist nicht leicht, etwas geheimzuhalten.«
    »Das ist für uns vielleicht ein Vorteil«, meinte Skarre. »Wenn der Mörder von hier ist.«
    Fritzner ging zur Jolle, griff nach dem Bier und trank aus.
    »Glauben Sie das?«
    »Sagen wir, wir hoffen es.«
    »Ich nicht. Aber wenn es so ist, dann hoffe ich, daß Sie ihn ganz schnell erwischen. Vermutlich haben alle in der Straße längst registriert, daß Sie zu mir gekommen sind. Zum zweitenmal.«
    »Macht Ihnen das etwas aus?«
    »Natürlich. Ich möchte hier gern wohnen bleiben.«
    »Und was sollte Sie daran hindern?«
    »Das wird sich zeigen. Als Junggeselle steht man besonders schwach

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