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Fremde Blicke

Fremde Blicke

Titel: Fremde Blicke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Fossum
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werden würde, wenn das in der Gegend die Runde machte? Die Mädels würden zu Hause eingesperrt werden. Der ganze Sportverein würde wie ein Kartenhaus einstürzen, und mehrere Jahre Arbeit wären umsonst gewesen!« Er wurde immer lauter. »Und wenn dieses Dorf etwas braucht, dann ist das der Sportverein. Die Hälfte der Leute sitzt in der Kneipe und kauft sich Drogen. Das ist nämlich die einzige Alternative. Nur damit Sie wissen, was passiert, wenn Sie Ihr Wissen weitergeben. Außerdem ist das elf Jahre her!«
    »Ich habe kein Wort gesagt«, erwiderte Sejer leise. »Und wenn Sie Ihre Stimme ein wenig dämpfen, dann können wir vielleicht verhindern, daß die ganze Nachbarschaft davon erfährt.«
    Jensvoll verstummte und lief rot an. Er wich in den Flur zurück, und Skarre zog die Tür hinter sich zu. »Meine Güte«, sagte er. »Ein Sprengsatz mit Haaren und Schnurrbart.«
    »Wenn wir genug Leute hätten«, sagte Sejer mit scharfer Stimme, »würde ich ihn beschatten lassen.«
    »Warum denn?« Skarre starrte ihn überrascht an.
    »Aus purer Bosheit.«
    Fritzner lag in seiner Jolle auf dem Rücken und nippte an seinem Bier. Nach jedem Schluck zog er an seiner Zigarette, während sein Gehirn sich mit dem Buch befaßte, das an seinen Knien lehnte. Ein gleichmäßiger Strom von Bier und Nikotin sickerte in seine Blutbahn. Nach einer Weile stellte er das Bier weg und trat ans Wohnzimmerfenster. Von dort konnte er Annies Schlafzimmerfenster sehen. Die Vorhänge waren geschlossen, obwohl doch erst früher Nachmittag war, so als sei ihr Zimmer kein normales Zimmer mehr, sondern so etwas wie eine heilige Stätte, in die niemand Einblick nehmen durfte. Eine einsame Lampe leuchtete schwach, vielleicht die auf dem Schreibtisch, überlegte er. Dann ließ er seinen Blick zur Straße hinüberwandern und entdeckte plötzlich den Streifenwagen bei den Briefkästen. Und da war auch der junge Beamte mit den Locken. Wollte sicher zu Hollands und die auf den neuesten Stand bringen. Er sah nicht besonders bedrückt aus, er ging mit leichten Schritten und schaute zum Himmel hinauf, eine schlanke adrette Gestalt mit üppigen Locken, die sicher nur haarscharf im von der Truppe erlaubten Rahmen blieben. Plötzlich bog der Mann nach links ab und hielt auf Fritzners Haustür zu. Fritzner runzelte die Stirn. Automatisch schaute er sich um, um festzustellen, ob dieser Besuch in den anderen Häusern registriert wurde, was natürlich der Fall war. Isaksen harkte in seinem Garten Laub.
    Skarre grüßte und ging zu dem Fenster, an dem Fritzner eben noch gestanden hatte.
    »Sie können in Annies Schlafzimmer sehen«, stellte er fest.
    »Ja, das kann ich.« Fritzner trat neben ihn. »Eigentlich bin ich ein altes Schwein, deshalb habe ich oft sabbernd hier gestanden,
    in der Hoffnung, etwas von ihr zu sehen. Aber sie war nicht gerade von der Sorte, die sich gern zeigt. Zuerst schloß sie die Vorhänge, dann zog sie den Pullover aus. Ich konnte immerhin ihre Silhouette sehen, wenn sie die Deckenlampe eingeschaltet hatte und der Vorhang nicht allzu viele Falten warf. Das war auch nicht schlecht.«
    Er mußte lächeln, als er Skarres Gesichtsausdruck sah.
    »Wenn ich ehrlich sein soll«, fuhr er fort, »und das soll ich wohl, dann war ich nie besonders heiratslustig. Aber ich hätte gern ein oder zwei Kinder gehabt, vor allem wohl, um etwas zu hinterlassen. Und die hätte ich am liebsten mit Annie gehabt. Sie war so eine Frau, die man gern befruchtet hätte, wenn Sie verstehen, was ich meine.«
    Skarre schwieg noch immer. Nachdenklich zerkaute er ein Sesamkorn, das lange zwischen zwei Backenzähnen gesessen und sich nun endlich gelockert hatte.
    »Groß und schlank, breite Schultern, lange Beine. Kluger Kopf. Schön wie eine Elfe aus dem tiefsten Wald. Mit anderen Worten, jede Menge prima Erbmasse.«
    »Sie war erst fünfzehn.«
    »Sie werden doch älter. Annie nicht, natürlich«, fügte er rasch hinzu. »Ehrlich gesagt, ich gehe auf die Fünfzig zu und habe genausoviel Phantasie wie alle anderen Männer. Allein bin ich auch. Und ein paar Privilegien sollte ein Junggeselle doch haben, finden Sie nicht? Niemand steht in der Küche und faucht mich an, wenn ich andere Frauen ansehe. Wenn Sie hier gewohnt hätten, Annie gegenüber, dann hätten Sie doch auch ab und zu einen Blick auf ihr Haus geworfen. Das ist ja wohl kein Verbrechen?«
    »Wahrscheinlich nicht.«
    Skarre betrachtete die Jolle und die Bierflasche am Dollbord. Er fragte sich, ob die

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