Fremde Blicke
hatte -was haben Sie denn für den eigentlichen Grund gehalten?«
»Keine Ahnung. Aber sie hatte doch einen Freund, und so was fordert ja auch seine Zeit. Der war übrigens nicht weiter athletisch, ein Pfeifenreiniger mit dünnen Beinen. Bleich und schmächtig wie ein Wachsböhnchen. Er hat manchmal bei den Spielen zugeschaut, saß stocksteif in der ersten Reihe und sagte nie auch nur einen Mucks. Folgte mit seinem Blick einfach dem Ball, hin und her, hin und her. Wenn sie dann gegangen sind, durfte er nicht einmal ihre Tasche tragen. Er war nichts für sie, nein, sie war doch um einiges härter als er.«
»Sie waren immer noch zusammen.«
»Ach was? Ja, über Geschmack läßt sich nicht streiten.«
Sejer starrte den Boden an und machte sich so seine Gedanken.
»Die Vorschriften zwingen mich, Ihnen folgende Frage zu stellen: Wo waren Sie am letzten Montag zwischen elf und zwei?«
»Am Montag. Sie meinen - an dem Tag. Bei der Arbeit natürlich.«
»Und das kann ich mir im Baumarkt bestätigen lassen?«
»Ich muß ziemlich viel fahren. Wir liefern doch ins Haus.«
»Sie waren also mit dem Auto unterwegs. Allein?«
»Zeitweise war ich mit dem Auto unterwegs. Ich mußte zwei Garderobenschränke nach R0dtangen bringen, das läßt sich jedenfalls beweisen.«
»Wann waren Sie dort?«
»Zwischen eins und zwei vielleicht.«
»Ein wenig präziser, Jensvoll.«
»Naja, es ging wohl eher auf zwei Uhr zu.«
Sejer rechnete nach. »Und vorher?«
»Ach, das war ein ziemliches Hin und Her. Ich habe lange geschlafen. Und ich habe mir eine halbe Stunde im Sonnenstudio erschlichen. Wir können uns die Zeit mehr oder weniger selber einteilen. Ich muß auch häufiger Überstunden machen und werde dafür nicht zusätzlich bezahlt. Deshalb habe ich kein schlechtes Gewissen. Der Chef neigt zu ...«
»Wo waren Sie, Jensvoll?« »Ich war an diesem Tag ein bißchen zu spät dran.« Er räusperte sich. »Wir waren am Sonntag zu zweit in der Stadt. Das ist natürlich blödsinnig, sonntags loszuziehen, wenn man weiß, man muß aufstehen und überhaupt, aber es ist nun mal passiert. Ich war so gegen halb zwei da, nehme ich an.«
»Mit wem waren Sie zusammen?«
»Mit einem Kumpel. Erik Fritzner.«
»Fritzner? Annies Nachbar?«
»Ja.«
»Na?« Sejer nickte vor sich hin und starrte den Trainer an, die welligen Haare und das braune Gesicht. »Hielten Sie Annie für ein attraktives Mädchen?«
Jensvoll verstand diesen Wink. »Was ist das für eine Frage?«
»Antworten Sie bitte.«
»Natürlich. Sie haben doch bestimmt Bilder gesehen.«
»Das habe ich«, sagte Sejer. »Sie sah nicht nur gut aus, sondern war auch ziemlich erwachsen für ihr Alter. Reif in gewisser Hinsicht, anders als die meisten anderen Teenies. Stimmen Sie mir da zu?«
»Sicher, das schon. Allerdings haben mich mehr ihre Fähigkeiten im Kasten interessiert.«
»Natürlich, das ist verständlich. Aber sonst - gab es irgendwelche Konflikte mit den Mädchen?«
»Wie meinen Sie das?«
»Konflikte eben«, sagte Sejer kurz. »Egal welche.«
»Die hatte ich natürlich. Mädchen in dem Alter sind ziemlich explosiv. Aber das war alles ganz normal. Keine wollte Annie im Tor ablösen, keine auf der Bank sitzen. Perioden, in denen nur gekichert wurde. Verehrer auf der Tribüne.«
»Was war mit Annie?«
»Was soll mit ihr gewesen sein?«
»Gab es irgendwelche Konflikte mit Annie?«
Jensvoll verschränkte die Arme und nickte. »Ja, das schon. An dem Tag, als sie anrief und aussteigen wollte. Bei der
Gelegenheit sind sicher allerlei harte Worte gefallen, die ich mir lieber verkniffen hätte. Vielleicht hat sie das als ein Kompliment aufgefaßt, was weiß ich. Jedenfalls beendete sie das Gespräch, legte auf und lieferte am nächsten Tag ihr Trikot ab. Und das war’s.«
»Und das war wirklich Ihre einzige Meinungsverschiedenheit?«
»Ja, genau. Das war die einzige.«
Sejer sah ihn an und nickte Skarre zu. Das Gespräch war beendet. Sie gingen zur Tür, Jensvoll folgte ihnen: allerlei aufgestaute Frustrationen drängten jetzt aus ihm heraus.
»Ehrlich gesagt«, meinte er gereizt, als Sejer die Tür öffnete, »verstehe ich nicht, warum Sie nicht zugeben, daß Sie mein Vorstrafenregister untersucht haben? Meinen Sie vielleicht, ich könnte mir nicht vorstellen, daß das als allererstes geschieht? Und daß Sie deshalb hier sind? Ich weiß, wie Sie denken!«
Sejer fuhr herum und starrte ihn an.
»Können Sie sich überhaupt vorstellen, was aus meiner Mannschaft
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