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Fremde Blicke

Fremde Blicke

Titel: Fremde Blicke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Fossum
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Schultasche zitterte. Die Tasche war nicht weiter schwer, Annie hatte alles ausgeräumt, was sie nicht unbedingt brauchte. In der Tasche lag nur noch die Undset-Biographie. Die Herzen der Menschen, der erste Band von Kristin Lavranstochter und ein Arbeitsheft. Und ihre Brieftasche, die ein Bild von Halvor enthielt, aus dem letzten Sommer, als er es geschafft hatte, ziemlich braun zu werden und einen hellblonden Schopf zu kriegen. Nicht so wie jetzt. Mit schweißnasser Stirn und vor Angst kreideweiß.
    Die Stimmung war gedrückt. Normalerweise gelang es Sejer, Probleme aus dem Stand heraus anzugehen. Jetzt fühlte er sich überrumpelt.
    »Sie verstehen doch, daß das sein muß?« fragte er.
    »Ja.«
    Halvor hob einen Fuß und musterte seinen Turnschuh, die zerfransten Schnürsenkel und die Sohle, die sich zu lösen drohte.
    »Bei Ihnen im Schuppen ist Annies Schultasche gefunden worden, was Sie direkt mit dem Mord in Verbindung bringt. Verstehen Sie, was ich sage?«
    »Ja. Aber Sie irren sich.«
    »Als Annies Freund sind Sie ohnehin beobachtet worden. Das Problem war, daß wir Sie nicht festnehmen konnten. Aber jetzt hat Ihre Großmutter unsere Arbeit erledigt. Damit hatten Sie sicher nicht gerechnet, Halvor, wo sie doch so schlecht zu Fuß ist. Plötzlich wollte sie im Schuppen aufräumen. Wer hätte auf diese Idee kommen sollen!«
    »Ich habe keine Ahnung, wo die Tasche herkommt. Sie hat sie im Schuppen gefunden, mehr weiß ich nicht.«
    »Hinter einer Schaumgummimatratze versteckt?«
    Halvors Gesicht war schmutzig und bleicher denn je. Bisweilen zuckte sein Mundwinkel, so als wolle er sich nach langer Zeit endlich losreißen.
    »Irgendwer will mir die Schuld zuschieben!«
    »Wie meinen Sie das?«
    »Irgendwer hat die Tasche dort abgestellt. Ich habe vor kurzem abends gehört, wie jemand um das Haus herumgeschlichen ist.«
    Sejer lächelte traurig.
    »Grinsen Sie nur«, sagte Halvor. »Aber das ist die Wahrheit. Jemand hat die Tasche dort abgestellt, um mir die Schuld zuzuschieben. Jemand, der weiß, daß wir zusammen waren. Und dann muß es doch jemand sein, den sie gekannt hat, oder?«
    Trotzig blickte er den Hauptkommissar an.
    »Ich bin immer davon ausgegangen, daß er sie gekannt hat«, sagte Sejer. »Ich glaube, er hat sie gut gekannt. Vielleicht so gut, wie Sie sie gekannt haben?«
    »Ich war es nicht! Hören Sie? Ich war es nicht!«
    Halvor wischte sich den Schweiß von der Stirn und versuchte sich zu beruhigen.
    »Meinen Sie, es ist jemand, den wir vergessen haben, mit dem wir aber sprechen sollten?«
    »Das weiß ich wirklich nicht.«
    »Ein neuer Freund zum Beispiel.«
    »Sie hatte aber keinen.«
    »Wie können Sie da so sicher sein?«
    »Das hätte sie mir gesagt.«
    »Meinen Sie, Mädchen kommen angerannt, um alles einzugestehen, wenn die Gefühle eine neue Richtung einschlagen? Wie viele Freundinnen haben Sie schon gehabt, Halvor?« »Sie hätte es mir gesagt. Sie haben Annie nicht gekannt.«
    »Nein, stimmt. Und ich habe begriffen, daß sie anders war. Aber ab und zu war sie doch sicher so wie andere Mädchen. Wenigstens ab und zu, Halvor?«
    »Andere Mädchen kenne ich nicht.«
    Halvor wand sich auf seinem Stuhl. Bohrte einen Finger zwischen Gummi und Leinen in seinem Schuh und versuchte, beides auseinanderzudrücken.
    »Suchen Sie lieber auf der Schultasche nach Fingerabdrücken.«
    »Das werden wir natürlich machen. Aber es ist nicht schwer, Fingerabdrücke wegzuwischen. Ich habe den Verdacht, daß wir keinen einzigen finden werden, abgesehen von Ihrem und dem Ihrer Großmutter.«
    »Ich habe die Tasche nicht angerührt. Jedenfalls nicht bis vorhin.«
    »Wir werden sehen. Daß wir die Schultasche gefunden haben, gibt uns übrigens auch einen Grund, mal einen genaueren Blick auf Ihr Motorrad, Ihren Motorradanzug und Ihren Helm zu werfen. Und auf Ihr Haus. Möchten Sie irgend etwas trinken, ehe wir weitermachen?«
    »Nein.«
    Der Spalt im Schuh war jetzt schon ziemlich breit. Halvor zog seine Hand zurück.
    »Muß ich heute nacht hierbleiben?«
    »Ich fürchte ja. Wenn Sie die Sache von außen betrachten, sehen Sie sicher ein, daß uns nichts anderes übrigbleibt.«
    »Für wie lange denn?«
    »Wissen wir noch nicht.« Sejer blickte in das Jungengesicht auf der anderen Seite des Tisches und wurde ein wenig sanfter.
    »Was arbeiten Sie eigentlich an Ihrem PC, Halvor? Sie sitzen stundenlang vor dem Bildschirm, jeden Tag nach der Arbeit und immer fast bis Mitternacht. Können Sie mir das

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