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Fremde Blicke

Fremde Blicke

Titel: Fremde Blicke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Fossum
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las die Inschrift.
    Annie Sofie Holland. Gott sei dir gnädig.
    Sejer stutzte kurz, wußte nicht, ob dieser Text ihm gefiel. Es hörte sich an, als ob sie etwas verbrochen hätte, das ihr verziehen werden mußte. Danach ging er an Eskil Johnas’ Grab vorbei. Jemand, Kinder vielleicht, hatte einen Löwenzahnstrauß hinterlassen.
    Kollberg mußte pinkeln. Sejer führte den Hund hinter den Block, ließ ihn sein Geschäft hinter den Berberitzensträuchern erledigen und fuhr dann mit dem Fahrstuhl wieder nach oben. Wanderte in die Küche und musterte den Inhalt des Kühlschrankes. Eine Packung Grillwürste, hart wie Beton, eine Tiefkühlpizza und eine kleine Packung mit der Aufschrift »Speck«. Er drückte darauf und lächelte, weil diese Plastikpackung ihn an etwas erinnerte. Er entschied sich für Eier, vier Spiegeleier, angestochen und mit Salz und Pfeffer bestreut, dazu eine zerschnittene Wurst für den Hund. Kollberg verschlang die Wurst gierig und ließ sich dann unter den Tisch sacken. Sejer aß seine Eier und trank Milch, und dabei schob er seine Füße unter Kollbergs Brust. Er brauchte zehn Minuten für diese Mahlzeit. Neben ihm lag aufgeschlagen die Zeitung. »Freund in U-Haft.« Er seufzte leise und fühlte sich nicht wohl in seiner Haut. Er hatte nichts für die Presse und deren Berichterstattung über das Elend des Lebens übrig. Schließlich räumte er den Tisch ab und schaltete die Kaffeemaschine ein. Vielleicht hatte Halvor seinen Vater wirklich mit der Schrotflinte erschossen. Hatte sich Handschuhe angezogen, die Waffe in den Schlafsack und zwischen die Hände des Alten gesteckt, abgedrückt, den Boden vor der Schuppentür gefegt und war dann zu seinem Bruder zurückgelaufen. Der fraglos zu ihm hielt und niemals verraten hätte, daß Halvor nicht im Bett gewesen war, als der Schuß fiel.
    Sejer trank den Kaffee im Wohnzimmer. Danach wollte er duschen und im Katalog von »Bad und Sanitär« blättern, den er im Briefkasten gefunden hatte. Badezimmerfliesen waren im Sonderangebot. Unter anderem schlichte weiße mit blauen Delphinen.
    Nach dem Duschen legte er sich aufs Sofa. Es war etwas zu kurz, er mußte die Füße über die Armlehne baumeln lassen, das war ziemlich unbequem, aber es hinderte ihn am Einschlafen. Er wollte sich den Nachtschlaf nicht verderben, das Ekzem war ohnehin schon störend genug. Er starrte zum Fenster hinüber und sah, daß es geputzt werden mußte. Weil er im zwölften Stock wohnte, konnte er dahinter nur den blauen Himmel sehen, der langsam abendlich dunkel wurde. Plötzlich sah er eine Fliege über das Glas kriechen. Eine schwarze, fette Schmeißfliege. Auch sie sind eine Art Frühlingsbote, dachte Sejer, als noch eine angekrochen kam und um die erste herum schwirrte. Er hatte eigentlich nichts gegen Fliegen, nur rieben sie ihre Beine auf diese besondere Weise aneinander. Ihm erschien das sehr privat, so als ob sich jemand vor anderen Menschen am Schritt kratzte. Die Fliegen schienen irgend etwas zu suchen. Und nun kam noch eine. Jetzt starrte er sie an, und ihn überkam ein unbehagliches Gefühl. Drei Fliegen gleichzeitig am Fenster. Seltsam, daß sie nicht wegflogen. Jetzt kam noch eine und noch eine, bald wimmelte es an der Fensterscheibe nur so von dicken schwarzen Fliegen. Irgendwann flogen sie doch auf und verschwanden hinter dem Sessel vor dem Fenster. Es waren inzwischen so viele, daß er ihr Summen hören konnte. Zögernd und voller Ekel stand er auf und näherte sich vorsichtig dem Sessel, sein Herz hämmerte wie wild, er packte den Sessel und riß ihn weg. Ein ganzer Fliegenschwarm stob nach allen Seiten auseinander. Die restlichen drängten sich noch immer auf dem Boden zusammen und fraßen irgend etwas. Er stupste sie mit den Zehen an, und endlich verschwanden sie. Ein angebissener Apfel. Verfault und weich.
    Er setzte sich auf und schwankte auf dem Sofa hin und her. Sein Hemd war schweißnaß. Verwirrt rieb er sich die Augen und schaute zum Fenster. Nichts. Er hatte geträumt. Sein Kopf war schwer und benommen, sein Nacken war steif, und seine Waden waren eingeschlafen. Er erhob sich, konnte der Versuchung, den Sessel vorzuziehen und nachzusehen, nicht widerstehen. Nichts. Er ging in die Küche, wo er eine Flasche Whisky und eine
    Packung Drehtabak aufbewahrte. Seufzte kurz, war nicht ganz zufrieden mit sich, trug dann aber alles ins Wohnzimmer. Kollberg starrte ihn abwartend an. Er erwiderte den Blick und überlegte sich die Sache anders. »Gassi«, sagte er

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