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Fremde Blicke

Fremde Blicke

Titel: Fremde Blicke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Fossum
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angenommen, sie ist nie aus Johnas’ Wagen ausgestiegen. Angenommen, die Sache ist so einfach.« Er erhob sich und machte ein paar Schritte, während seine Gedanken durcheinanderwirbelten. »Wir haben doch nur Johnas’ Behauptungen.«
    »Soviel ich weiß, ist er ein respektabler Geschäftsmann mit eigener Galerie und tadellosem Leumund. Außerdem war er Annie Dank schuldig, weil sie ihn immer wieder von einem schwierigen Kind befreit hat.«
    »Genau. Sie kannte ihn. Und er mochte sie.« Sejer schloß die Augen. »Vielleicht hat sie einen Fehler gemacht.«
    »Was hast du gesagt?« Holthemann spitzte die Ohren.
    »Ich frage mich, ob sie einen Fehler begangen hat.«
    »Natürlich hat sie das. Sie ist ganz allein mit einem Mörder an eine einsame Stelle gegangen.«
    »Das auch. Aber schon vorher. Sie hat ihn unterschätzt. Hat sich sicher gefühlt.«
    »Er trug wohl kaum ein Plakat um den Hals«, sagte Holthemann trocken.
    »Und wenn sie ihn besser gekannt hat? Wenn sie so vorsichtig war, wie alle behaupten, dann müssen sie sich sehr gut gekannt haben.«
    »Vielleicht hatten sie ein gemeinsames Geheimnis.«
    »Ein Bett, zum Beispiel?« Holthemann lächelte.
    Sejer stellte Annie wieder vor den Laden und drehte sich mit skeptischer Miene um.
    »Es wäre nicht das erste Mal.« Der Abteilungsleiter lächelte noch immer. »Manche junge Mädchen mögen nun mal ältere
    Männer. Wie ist das, Konrad, ist dir so was aufgefallen?« Nun lächelte er lüstern.
    »Halvor sagt nein«, antwortete Sejer knapp.
    »Natürlich. Er kann die Vorstellung nicht ertragen.«
    »Eine Beziehung, die sie an die Öffentlichkeit bringen wollte, meinst du das? Irgendwer mit Weib und Kind und hohem Gehalt?«
    »Ich denke nur laut.«
    Sejer nickte.
    »Halvor hat ja immerhin einen Versuch machen dürfen. Meiner Meinung nach sind alle Männer im Krystall mögliche Kandidaten. Sie haben sie jeden Tag gesehen, sommers wie winters, wenn sie durch die Straße gegangen ist. Haben gesehen, wie sie herangewachsen und immer attraktiver geworden ist. Sie haben sie mitgenommen, wenn sie irgendwohin wollte, sie hat ihre Kinder gehütet, ist in ihren Häusern ein und aus gegangen, hatte Vertrauen zu ihnen. Wir haben es mit erwachsenen Männern zu tun, die sie gut gekannt hat, gegen die sie arglos war, wenn sie ihr über den Weg liefen. Einundzwanzig Häuser, ihr eigenes abgezogen, macht zwanzig Männer. Fritzner, Irmak, Silberg, Johnas, das ist eine ganze Menge. Vielleicht hat einer von ihnen in aller Heimlichkeit nach ihr gesabbert.«
    »Nach ihr gesabbert? Aber er hat trotzdem nicht zugelangt.«
    »Vielleicht ist er dabei gestört worden.« Sejer starrte die Karte an der Wand an. Es gab so viele Möglichkeiten. Er begriff nicht, wie jemand einen Menschen töten, ihn ansonsten aber nicht anrühren konnte. Daß der Mann den toten Körper nicht berührt hatte, nicht nach Schmuck oder Geld gesucht oder sichtbare Hinweise auf Verzweiflung, Wut oder irgendeine perverse Neigung hinterlassen hatte. Sondern sie ordentlich hingelegt hatte, hilfsbereit, rücksichtsvoll, neben ihren Kleidern. Er hob die letzte Anniefigur ab. Umklammerte sie mit zwei Fingern und steckte sie dann fast widerwillig wieder an Ort und Stelle.
    Danach ging Sejer langsam zum Weiher.
    Er horchte, versuchte sie sich vorzustellen, wie sie den Weg entlanggeschlendert waren. Annie in Jeans und blauem Pullover, neben ihr ein Mann. Er sah einen vagen Umriß vor sich, einen dunklen Schatten, ziemlich sicher älter und größer als sie. Vielleicht unterhielten sie sich unterwegs gedämpft, vielleicht über etwas Wichtiges. Sejer hatte seine Vorstellung von dem, was passiert war. Der Mann gestikulierte und erklärte, Annie schüttelte den Kopf, er ging weiter, versuchte sie zu überreden, die Temperatur stieg. Sie näherten sich dem Weiher, sahen durch die Bäume hindurch das Wasser glitzern. Der Mann setzte sich auf einen Stein, hatte sie noch nicht angerührt, sie setzte sich zögernd neben ihn. Der Mann war sehr beredt, gebieterisch, freundlich, vielleicht auch bettelnd, so richtig wußte Sejer das nicht. Dann sprang er plötzlich auf und machte sich über sie her, ein lautes Platschen ertönte, als sie auf das Wasser auftraf. Nun benutzte er beide Hände und sein ganzes Körpergewicht, einige Vögel flatterten verschreckt auf, Annie preßte den Mund zusammen, um kein Wasser in die Lunge zu bekommen. Sie wehrte sich, kratzte mit den Fingern im Schlamm herum, und rote, schwindelnde Sekunden verstrichen,

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