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Fremde Blicke

Fremde Blicke

Titel: Fremde Blicke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Fossum
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fühlte er sich immer ein wenig wehmütig, wenn er Matteus auf dem Schoß hatte, während ihm gleichzeitig Schauer des Wohlbefindens den Rücken hinunterliefen.
    Ingrid stand auf, nahm ihre Holzschuhe und schlug sie dreimal gegeneinander. Dann schob sie die Füße hinein.
    »Warum machst du das?« erkundigte ihr Vater sich.
    »Alte Gewohnheit«, sie lächelte, »aus Somalia.«
    »Aber hier gibt es doch keine Schlangen und Skorpione?«
    »Das wird zu einer Art Zwangsvorstellung«, sie lachte, »ich kann einfach nicht dagegen an. Und außerdem haben wir doch Wespen und Kreuzottern.«
    »Glaubst du, eine Kreuzotter könnte in einen Schuh kriechen?«
    »Keine Ahnung.«
    Er drückte seinen Enkel an sich und beschnupperte den Nacken des Kleinen. »Noch schaukeln«, bat Matteus.
    »Meine Beine sind so müde. Kannst du nicht ein Buch holen, dann lese ich dir was vor.«
    Matteus sprang auf und stürzte in die Wohnung.
    »Und wie geht’s sonst, Papa?« fragte seine Tochter plötzlich mit Kinderstimme.
    Anders, dachte er. Das bedeutete, wie geht es eigentlich im tiefsten Herzen, in der Tiefe seiner Seele. Oder es konnte auch die getarnte Frage sein, ob etwas passiert sei. Ob er sich zum Beispiel eine Freundin zugelegt habe oder vielleicht heimlich verliebt sei, was er nicht war. Das wäre auch etwas gewesen!
    »Ja, danke?« sagte er fragend und unschuldig.
    »Die Tage werden dir nicht zu lang?«
    Sie war äußerst vorsichtig! Er war davon überzeugt, daß sie auf irgend etwas hinauswollte.
    »Ich habe viel Arbeit«, sagte er. »Und außerdem habe ich ja euch.«
    Bei diesen Worten machte sie sich mit dem Salatbesteck zu schaffen. Sie drehte sich um und vermischte mit großer Energie Gurkenscheiben und Tomaten. »Ja. Aber verstehst du, wir spielen mit dem Gedanken, noch mal hinunterzufahren. Für eine weitere Periode. Die allerletzte«, sagte sie rasch und schaute schuldbewußt zu ihm hoch.
    »Hinunter?« Er kostete dieses Wort aus. »Nach Somalia?«
    »Erik ist gefragt worden. Wir haben noch nicht geantwortet«, sagte sie schnell. »Aber wir spielen wirklich mit dem Gedanken. Ein wenig auch wegen Matteus. Wir möchten so gern, daß er etwas vom Land sieht und vielleicht die Sprache lernt. Wenn wir im August losfahren, sind wir wieder hier, wenn er in die Schule kommt.«
    Drei Jahre, dachte Sejer. Drei Jahre ohne Ingrid und Matteus.
    Nur zu Weihnachten zu Hause. Briefe und Postkarten, und der Enkel immer ein Stück größer, ein Jahr älter, plötzlich, ruckweise.
    »Ich bezweifle ja nicht, daß ihr da unten gebraucht werdet«, sagte er und gab sich Mühe, seine Stimme nicht zittern zu lassen. »Du meinst doch wohl nicht, mein Wohl und Wehe könnten für euch ein Hindernis darstellen? Ich bin noch nicht neunzig, Ingrid.«
    Sie errötete leicht. »Ich denke auch ein bißchen an Oma.«
    »Um die kümmere ich mich. Du hast den Salat bald pulverisiert«, sagte er.
    »Es gefällt mir nicht, daß du allein bist«, sagte sie leise.
    »Ich habe doch Kollberg.«
    »Also wirklich, er ist ein Hund!«
    »Sei froh, daß er nicht versteht, was du sagst.« Sejer schaute zu Kollberg hinüber, der nichtsahnend unter dem Tisch schlief. »Wir kommen schon zurecht. Wenn ihr wirklich wollt, dann solltet ihr fahren. Hat Erik die Blinddärme und die dicken Mandeln satt?«
    »Da unten ist alles so anders«, erklärte sie. »Und man kann viel mehr ausrichten.«
    »Und Matteus? Was macht ihr mit ihm?«
    »Er kommt in den amerikanischen Kindergarten, zusammen mit vielen anderen Kindern. Außerdem«, sagte sie nachdenklich, »hat er ja Verwandte, die er noch nie gesehen hat. Und das gefällt mir nicht. Er soll alles wissen.«
    »Amerikanisch?« fragte Sejer skeptisch. »Und was verstehst du unter >alles wissen    »Über die Mutter sprechen wir erst, wenn er älter ist.«
    »Fahrt!« sagte er energisch.
    Sie blickte ihn lächelnd an. »Was glaubst du, was Mama gesagt hätte?«
    »Dasselbe wie ich. Und danach hätte sie im Bett ein bißchen geweint.«
    »Das machst du nicht?«
    Matteus kam mit einem Kinderbuch in der einen und einem Apfel in der anderen Hand angelaufen. »>Es war eine dunkle und stürmische Nacht<. Klingt das nicht unheimlich?« fragte Sejer.
    »Pa!« sagte der Kleine und kletterte wieder auf seinen Schoß.
    »Die Kohlen glühen schon«, sagte Ingrid und streifte die Schuhe ab. »Ich werf jetzt die Steaks drauf.«
    Sie legte das Fleisch auf den Grill,

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