Fremde Blicke
existierte.
»Jetzt höre ich das Auto«, sagte sie erleichtert.
Hollands grüner Toyota hielt vor dem Haus. Sejer sah, wie Ada Holland den Kiesweg betrat und einen Blick zum Fenster hoch warf.
»Dieser Vogel, S0lvi, kann ich den haben?« fragte Sejer eilig.
Sie staunte. »Den kaputten Vogel? Natürlich.« Mit fragender Miene reichte sie ihm das Teil.
»Danke. Dann will ich Sie nicht weiter stören.« Er lächelte, steckte den Vogel in die Jackentasche und ging ins Wohnzimmer. Lehnte sich an die Wand und wartete.
Der Vogel. Von Eskils Grab entfernt. In Annies Zimmer. Warum?
Eddie Holland betrat das Haus als erster. Er nickte und reichte Sejer mit halb abgewandtem Gesicht die Hand. Er hatte etwas Abweisendes, das war neu. Frau Holland ging in die Küche, um
Kaffee zu machen.
»S0lvi bekommt Annies Zimmer«, sagte Herr Holland. »Dann steht es wenigstens nicht leer. Und wir haben etwas zu tun. Wir wollen die Wand einreißen und das Zimmer neu tapezieren. Das wird viel Arbeit.«
Sejer nickte.
»Ich muß etwas loswerden«, sagte Herr Holland dann. »Ich habe in der Zeitung gelesen, daß ein achtzehnjähriger Junge in Untersuchungshaft genommen worden ist. Aber es kann doch unmöglich Halvor gewesen sein? Den kennen wir seit zwei Jahren. Er ist zwar sehr verschlossen, aber man hat doch ein Gefühl für Menschen. Ich will ja nicht behaupten, ihr wüßtet nicht, was ihr tut, aber wir können uns Halvor einfach nicht als Mörder vorstellen, es geht einfach nicht.«
Sejer schaffte das durchaus. Sie waren wie die meisten anderen. Vielleicht hatte Halvor seinem Vater den Kopf weggeschossen, hatte mit eiskalter Überlegung einen Schlafenden hingerichtet.
»Ist das Halvor, der in Untersuchungshaft sitzt?« fragte Holland.
»Wir haben ihn laufenlassen«, antwortete Sejer mit lauter Stimme.
»Warum habt ihr ihn überhaupt festgenommen?«
»Das mußten wir. Mehr kann ich dazu nicht sagen.«
»>Aus Rücksicht auf die laufenden Ermittlungen«
»Genau.«
Frau Holland brachte vier Tassen und eine Schale mit Keksen.
»Und passiert sonst noch etwas?«
»Allerdings.« Sejer starrte aus dem Fenster und suchte nach einer Ablenkung. »Aber im Moment darf ich noch nichts darüber sagen.«
Holland lächelte verbittert. »Natürlich nicht. Wir werden wohl als letzte informiert werden. Die Zeitungen werden es viel früher wissen als wir, wenn ihr ihn endlich erwischt.« »Durchaus nicht.«
Sejer schaute ihm in die Augen, die so groß und grau waren wie Annies. Im Moment waren sie von Schmerz erfüllt.
»Aber die Presse ist überall, und sie haben Kontakte. Daß Sie in der Zeitung etwas lesen, bedeutet nicht, daß wir die informiert haben. Wenn wir jemanden verhaften, werden Sie es als einer der ersten erfahren. Das verspreche ich Ihnen.«
»Von Halvor hat uns niemand etwas gesagt«, erwiderte Herr Holland leise.
»Das liegt einfach daran, daß wir nicht geglaubt haben, wir hätten den Richtigen.«
»Wenn ich es mir überlege«, murmelte Herr Holland, »dann weiß ich nicht einmal, ob ich überhaupt wissen will, wer es war.«
»Was sagst du da?« Ada Holland brachte den Kaffee und blickte ihren Mann bestürzt an.
»Es spielt keine Rolle mehr. Das alles ist doch wie ein Unglück, das sich nicht vermeiden ließ.«
»Warum sagst du das?« fragte sie verzweifelt.
»Sie hätte ja ohnehin sterben müssen. Da spielt es doch keine Rolle mehr.«
Er starrte die leere Tasse an, hob sie hoch und schwenkte sie durch die Luft, als wolle er den gar nicht vorhandenen brühheißen Kaffee vergießen.
»Es spielt eine Rolle«, widersprach Sejer energisch. »Sie haben ein Anrecht darauf, den Grund zu erfahren. Es kann eine Weile dauern, aber ich werde es feststellen, auch wenn es vielleicht sehr lange dauert.«
»Sehr lange?« Holland lächelte plötzlich wieder sein verbittertes Lächeln. »Und Annie verwest langsam«, flüsterte er.
»Aber Eddie!« sagte Frau Holland gequält. »Wir haben doch S0lvi!«
»Du hast S0lvi.«
Eddie Holland erhob sich, verschwand irgendwo im Haus und blieb verschwunden. Niemand ging ihm nach.
»Annie war die Tochter ihres Vaters«, sagte Ada Holland leise.
»Das weiß ich.«
»Ich habe Angst, daß er nie wieder er selbst wird.«
»Das wird er auch nicht. Im Moment versucht er, sich mit einem anderen Eddie zu arrangieren. Er braucht Zeit. Vielleicht wird es leichter, wenn wir herausgefunden haben, was wirklich passiert ist.«
»Ich weiß nicht, ob ich es wage, dieses Wissen
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