Fremde Federn
ich bin nicht krank. Ich bin blind, du Arschloch, falls dir das bisher entgangen ist!«
Wieder ergriff Melrose seine Hand und schrieb in großen Buchstaben: »Nein.« Und danach: »Der Kram.«
»Was? Hat sich ausgekramt, verpiß dich, du Penner!« Die Polizei in Baltimore mußte eine Engelsgeduld haben, wenn sie aus Milos Informationen herausbekommen hatte (was ihr allem Anschein nach gelungen war, auch wenn sich über deren Brauchbarkeit streiten ließ), jedenfalls mehr Geduld, als Melrose je bei der Polizei erlebt hatte.
Seufzend gab er auf und kletterte die Treppe hoch.
»Hallo? Suchen Sie ein Geschenk? Ein Freund bankrott? Ihr Broker unbekannt verzogen? Demnächst eine Steuerprüfung? Alles auf einen Schlag?«
Ein schlanker Mann spazierte auf Melrose zu, während er diese Salve von Fragen auf ihn abschoß. Angesichts seines Outfits war »schießen« ein angemessener Ausdruck: bestickte Weste, Cowboystiefel aus geprägtem Leder und ein bodenlanger, leichter Mantel, der Clint Eastwood in einem seiner Spaghetti-Western hervorragend gestanden hätte. Schwer zu sagen, ob es seine Geschäftskleidung war oder ob das Geschäft nur die Kulisse abgeben sollte - das Bühnenbild für ihn.
»Schwuler Macker« war mal wieder eine von Hughies Fehlinterpretationen. Der Macker hier kam garantiert bei Frauen an. Melrose erwiderte das ansteckende Lächeln. Die Sprüche waren natürlich interessanter als das übliche »Was wünschen Sie?«
Melrose antwortete: »Eigentlich nichts von alledem. Ich bin zu Besuch hier und suche ein Mitbringsel für eine Dame. Etwas schrecklich Amerikanisches.«
Der Mann lächelte. »Hier gibt’s nichts, das nicht schrecklich amerikanisch ist.« Er schob die Hände in die Taschen seiner Jeans und schaute sich fröhlich um, als könne er sich an den Zeugnissen seiner Findigkeit gar nicht genug erfreuen.
»Sind Sie der Inhaber?«
»Aber gewiß doch.«
»Mein Name ist Melrose Plant.« Melrose zog eine seiner uralten Visitenkarten aus der Schachtel und gab sie ihm. Manchmal war Adel ja vonnutzen.
Alan Loser studierte die Karte mit der eingravierten Schrift. »Caverness. Lord Caverness?«
»Nein, Lord Ardry. Das ist der Familienname. Und dann Earl of Caverness etcetera.«
»Ich bin schon von dem Teil mit dem Grafen beeindruckt. Wage mir gar nicht vorzustellen, was das >etcetera< alles noch sein mag.«
Melrose lächelte. Er betrachtete ein Regal mit Büchern, von denen er noch nie gehört hatte, und überlegte, ob sie hier standen, weil sie so obskur waren. Und dann erhellte sich seine Miene bei einem vertraut aussehenden glänzendroten Umschlag. Aha! Hier also hatte sie es gekauft!
»Ich sehe, Sie schauen sich die Bücher an. Liest Ihre Freundin?«
Konnte Agatha lesen? Er nahm ein Exemplar von Zu Gast in Baltimore. »Na ja, Speisekarten.«
Alan Loser kicherte. »Ißt gern, was? Wie wär’s dann mit dem hier?«
Er händigte Melrose ein Buch mit dem Titel Gehen wir Okra essen aus. Auf dem Umschlag kletterten etliche spille-rige Okras, alle mit Sonnenbrillen, Hütchen und Picknickkörben aus einem Auto.
»Hier werden neunundneunzig Arten, Okra zu kochen, beschrieben - zum Picknick, Abendessen, zum Lunch fürs Büro, was das Herz begehrt. Ein Okra-Kochbuch finden Sie in England garantiert nicht. Nicht, daß Sie dort eines brauchten.«
»Ich glaube nicht einmal, daß ich in England eine Okra finden würde. Ist das nicht das dunkelgrüne, schleimige Gemüse, das man für - wie heißt es noch?«
»Gumbo. Das man für Gumbo braucht. In dem Buch hier sind aber keine Gumbo-Rezepte.« Er blätterte das Buch durch. »Die üblichen Sachen sind hier nicht drin.«
»Mir wäre nie in den Sinn gekommen, daß man mit Okras überhaupt übliche Sachen anstellen kann.«
»Ich weiß. Hier steht aber auch drin, wie man sie kochen muß, um die Schleimschicht rauszukriegen.«
»Aber wenn sie sowieso schleimig sind, warum kocht man sie dann noch?«
»Wie Sie sich vorstellen können, war das Buch kein riesiger kommerzieller Erfolg.«
»Ich kann mir nicht vorstellen, daß überhaupt eines dieser Bücher ein Erfolg war.« Melrose schaute sich um. »Stoßen diese ganzen Mißerfolge die Kunden nicht eher ab?«
»Machen Sie Witze? Oder haben Sie eine höhere Meinung von der menschlichen Natur als ich? Sie scheinen die niedrigeren Instinkte der Menschheit zu ignorieren. Des einen Leid ist des andern Freud. In die Richtung wollte ich den Laden zuerst nennen. Doch dann gefiel mir die Abwandlung von >neureich< so
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