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Fremde Federn

Fremde Federn

Titel: Fremde Federn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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zwischen Plant und Wiggins. Letzterem widmete sie sich weit intensiver als Melrose, was der dahingehend interpretierte, daß sie ihn weit mehr brauchte, als sie zeigen wollte. Deswegen war sie so genervt. Sie hatte ihm regelrecht widerwillig ein Willkommensgeschenk, ein Buch, in die Hand gedrückt, und gesagt, vielleicht könne er es gebrauchen, wenn er in Baltimore herumliefe.
    Dann sabbelte sie Wiggins die Ohren ab und zeigte in die vorbeifliegende Landschaft, die aber, soweit Melrose mitbekam, nichts Interessantes zu bieten hatte. Also blätterte er in seinem neuen Buch. Es war ein hochformatiger, dicker Band mit dem Titel Zu Gast in Baltimore . In allen vier Ecken des Hochglanzumschlags prangten kleine Zeichnungen histori-scher Stätten Baltimores, zu denen sich, wie auf dem Brett eines Gesellschaftsspiels, kleine schwarze Fußspuren schlängelten.
    Melrose schwante etwas. Er warf einen kurzen Seitenblick auf Ellen, aber die nötigte Wiggins gerade Unmengen Pfefferminzbonbons auf und deutete aus dem Fenster auf wußte der liebe Gott was. Zu sehen gab es nicht viel. Die Fahrt zum Stadtzentrum hätte überall hinführen können, nach London, Baltimore, New York, außer vielleicht nach Kalkutta. Gigantische Reklamewände priesen Black Label, ein Bier mit überdimensionaler Schaumkrone, Johnnie Walker Red, Riesenportionen Brathähnchen. Unbefestigte Seitenstreifen, Betonpfeiler, Baumaschinen. Wie es in der Umgebung von Flughäfen eben aussah.
    Sein Mißtrauen hinsichtlich Ellens Geschenk bestätigte sich, als er in das rote Buch schaute. Eine vierköpfige Familie, die Familie »Gast«, wollte zu einer Vergnügungspartie (so beliebten sich die Schwestern Lizzie und Lucie Bessie, die Autorinnen, auszudrücken) zum Inner Harbor aufbrechen, wo es kleine Läden und Restaurants gab und das Leben tobte - dem überkandidelten Lächeln der Kinder Gast nach zu urteilen, eine herrliche Gegend! Der Pfad, der sich hindurchschlängelte, erinnerte sehr an die gelbe Ziegelsteinstraße zum Zauberer von Oz. Der Leser kam in den Genuß eines ordentlichen Fußmarschs mit den Gasts, vorbei an Denkmälern und Stadien, durch Parks und verstopfte Straßen, wo man natürlich häufiger ein Erholungspäu-schen einlegen und sich etwas Gutes gönnen mußte, ein Eis, Capuccino, Lunch oder Abendessen, zu welch letzteren Unmengen von aus dem Ozean Gefischtem ein Muß zu sein schienen. Das hier sah doch zum Beispiel aus wie Seesterne. Er betrachtete die Illustrationen von nahem; nein, das waren keine Seesterne - winzige Krabben vielleicht. Austern und Venusmuscheln tanzten mit glücklichen Mienen auf einer großen Servierplatte; an der Leine eines Anglers tollte ein grinsender Barsch; aus riesigen Töpfen winkten Hummer fröhlich mit den Zangen. Marylands Meeresfrüchte frönten ganz entschieden der Haltung der Todgeweihten, die ihren Mördern den letzten Gruß entboten. Deswegen hatten sie wahrscheinlich den Unabhängigkeitskrieg gewonnen, dachte Melrose. Daß englische Seezungen und Bücklinge sich so keck und unbekümmert in die Schußlinie stellten, war ihm jedenfalls nicht bekannt.
    »Was tun Sie da?« fragte Ellen, dabei hatte sie ihm doch zu seiner gegenwärtigen Beschäftigung verholfen.
    »Lesen, was sonst.« Melrose blätterte eine Seite um. Das Washington-Denkmal? Er hatte angenommen, das sei in Washington, D. C.
    Ellen brummelte, Reiseführer lese man nicht, und beantwortete Jurys Frage nach der riesigen Anlage zu ihrer Rechten.
    »Camden Yards, das Stadion der Orioles. Pfuschneu. Da haben die Orioles das erste Spiel der Saison gespielt.«
    Melrose schloß das Buch und trommelte mit den Fingern darauf. Er konnte sich lebhaft vorstellen, wie Ellen es in der Kinderabteilung einer Buchhandlung durchgeblättert und in sich hineingekichert hatte. Er schaltete auf stur und starrte geradeaus, während der stumme Taxifahrer sie ins Zentrum von Baltimore kutschierte. Erlösung nahte! Zumindest für Sergeant Wiggins.
    Denn bevor sie nach rechts in die Pratt Street einbogen, sahen sie einen Uhrenturm im florentinischen Stil, der eine Gruppe von Gebäuden überragte. Auf dem Zifferblatt stand »Bromo-Seltzer«.
    Das Taxi hielt in Fells Point vor einem hübschen Backsteingebäude mit Namen Admiral Fell Inn. Auch dies war der Aufmerksamkeit der Schwestern Bessie nicht entgangen; Zu Gast in Baltimore wies darauf hin, daß es einmal eine Essigfabrik gewesen war. »Und ein Heim für Seeleute«, sagte Melrose, eifrig sein Buch studierend.
    »Es ist ein

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