Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Fremde Federn

Fremde Federn

Titel: Fremde Federn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
Vom Netzwerk:
Hotel, aber eher wie ein Bed-and-Breakfast. Ich dachte, das gefällt Ihnen. Ich dachte, da fühlen Sie sich wie zu Hause.«
    »Ardry End ist kein Bed-and-Breakfast«, sagte Melrose.
    »Doch, sehr schön«, sagte Jury.
    »Ich bezahle«, sagte Ellen und zerrte Geldscheine aus einer abgewetzten Brieftasche. »Bis Sie zählen gelernt haben«, fügte sie hinzu, damit bloß niemand auf die Idee kam, sie sei immer in Spendierlaune. Die Bemerkung war natürlich nur auf Melrose gemünzt, Jury und Wiggins hielt sie offenbar für ausreichend intelligent, ohne große Übung das Dezimalsystem eines anderen Landes zu begreifen. Sie reichte dem Fahrer das Geld ins Auto.
    Als sie die Treppe zu der Pension hochgingen, fragte Ellen (offenbar wieder nur Melrose): »So, was haben Sie jetzt vor? Ein Nickerchen machen?«
    Melrose überhörte es. »Ich will, verdammt noch mal, rausfinden, was hier los ist, damit ich wieder nach Ardry End kann.«
    Wiggins konzentrierte sich auf einen großen Hund, der neben dem Empfangstisch lag. Er machte Anstalten, sich zu erheben, besann sich aber eines besseren, ließ den Kopf wieder auf die Pfoten sinken und schaute sie aus trüben Augen kläglich an.
    »Schlechte Laune, was?« Jury lächelte Melrose zu. »Ich muß ein paar Anrufe machen.«
    »Ich muß zur Uni«, sagte Ellen. »Dauert eine, na, vielleicht eineinhalb Stunden. Vielleicht können wir uns um fünf treffen?«
    »Gut. Wo?«
    »Wir können ins Horse gehen. Es ist nur die Straße hinunter. In der Thames Street.« Sie zeigte zum Fenster hinaus.
    »Was ist das Horse?«
    »Eine Eckkneipe. Da geh ich immer hin. Vielleicht mögen Sie das Bier dort nicht. Aber sie haben Bass.«
    »Einverstanden«, sagte Jury. Und zu Melrose: »Machen Sie erst Ihr Nickerchen?«
    Oha, dachte Melrose. »Nein, ich mache einen Spaziergang.«
Kapitel 10
    Fells Point (hatte ihm Ellen erzählt, als er mit seinem Stadtführer loszog) war der älteste Teil Baltimores, von hier aus war Baltimore gewachsen, und es war vermutlich das letzte intakte Hafenviertel im ganzen Land.
    Es war ein historisches Kleinod, noch richtig urig, aber in Gefahr, in Schickimicki abzugleiten. Mehr als zweihundert Jahre sich selbst überlassen, wurde es jetzt offenbar trendy, wenn es auch immer noch so aussah wie im achtzehnten Jahrhundert. Es hatte etwas angenehm Vergammeltes, das die schicken Galerien und Läden bisher noch nicht verdrängt hatten. Enge Straßen, enge Bürgersteige und von Schieferdächern gekrönte schmale Reihenhäuser, zwischen denen Gehwege mit kleinen schmiedeeisernen Pforten verliefen, durch die man wohl einst das Vieh getrieben hatte.
    Eine Stunde lang wanderte Melrose durch die Straßen und am Wasser entlang, dann ging er die Kneipe suchen, in der sie sich verabredet hatten. Er fand sie keine fünfzig Meter von der Pension entfernt.
    Von dem Schild des Horse You Came In On bröckelte die weiße Farbe, wodurch das kreuzlahme Pferd noch mehr wie ein alter Klepper aussah, der der Schinderei einer irischen Kesselflickersippe entflohen war. Er schaute dümmlich zufrieden drein, als sei er froh, nun endlich das Gnadenbrot verzehren zu dürfen. Die Tür unter dem Schild war in diesem Jahrhundert bestimmt noch nicht gestrichen worden. Wenn man nicht wußte, was sich hinter einer solchen Tür verbarg, würde man zögern, hindurchzugehen. Sie sah regelrecht bedrohlich aus.
    Melrose gefielen Tür und Straße. Die Straße hieß Thames Street, war gepflastert und erinnerte ihn mit ihren Lagerhäusern, Gebäudezeilen und Ziegelsteinbürgersteigen tatsächlich ein wenig an Whitechapel und die Docklands in London. An der Themse war jetzt tiefe Nacht, das wußte er, aber selbst hier setzte schon die nachmittägliche Dämme-rung ein. Es hatte angefangen zu nieseln, und über dem Fluß Patapsco zog Nebel auf, der die hier vertäuten kleineren Schiffe bestimmt bald eingehüllt hatte.
    Es war eine bescheidene kleine Kneipe ohne Firlefanz, der Tresen befand sich an der linken Wand und die Tische und Stühle an der rechten. Die Decke konnte er kaum sehen, weil eine Schicht Zigarren- und Zigarettendunst darunterhing, Bier - aus Kannen, Flaschen, Dosen - floß in Strömen und trieb den Feuchtigkeitspegel um ein Erkleckliches nach oben. Gegenüber dem viktorianischen Klimbim im Londoner West End war es eine Erholung. Die Kneipe war proppenvoll, die Leute, zum Teil wild gestikulierend, standen in Zweier- und Dreierreihen am Tresen und schauten auf einen großen Fernseher. Bei seinem Eintritt empfing

Weitere Kostenlose Bücher