Fremde Federn
nichts.
Sie saßen im Mantel da und schwiegen, bis Jury sie nach Ellens Studentin fragte. »Nein. Phil hat nie jemanden erwähnt, der Beverly heißt. Wer ist das?«
Jury erzählte es ihr. »Eine Freundin von Beverly Brown meint, sie hätte ihn bei einem Kursus kennengelernt, den die Stiftung gesponsort hat. Hat er unterrichtet?«
»Nein. Aber vielleicht ist er selbst - einen Moment. Eine Schwarze? Sieht wirklich gut aus? Ich habe ein paarmal gesehen, wie er sich mit einer schwarzen Studentin unterhalten hat. Gesprochen hat er mit mir aber nie über sie; ich glaube nicht, daß er sie gut gekannt hat.«
Wieder schwiegen sie einen Augenblick lang, sie schaukelte, Jury drehte den Papierbeschwerer in seinen Händen. »Sie wüßten nicht, daß er Feinde hatte?«
Sie seufzte. »Feinde. Das klingt so melodramatisch.«
»Ja, ich weiß. Ist außer Ihnen schon mal irgend jemand von seinen Freunden hier oben zu Besuch gewesen?«
Sie schüttelte den Kopf. »Nein. Das hat der Kriminalbeamte auch gefragt. Ich glaube wirklich nicht, sonst hätte Phil es erwähnt.«
»Vielleicht nicht, wenn es sich um eine Frau gehandelt hätte.«
Hester warf ihm einen ungeduldigen Blick zu. »Doch, hätte er. Wir waren Freunde. Das habe ich Ihnen gesagt. Wenn er ein Verhältnis gehabt hätte oder verliebt gewesen wäre oder mit jemandem geschlafen hätte - das hätte er mir erzählt. Er war sehr offen.«
»Aber es war allgemein bekannt, daß er diese Hütte besaß und regelmäßig hierherfuhr.« Sie nickte, und er redete weiter. »So daß jemand hier hätte aufkreuzen können, während Philip hier war.« Wieder nickte sie. »Hm, ich bin auch der Meinung, daß ein Überfall sehr unwahrscheinlich ist, Hester. Wie wäre überhaupt jemand durch Zufall auf die kleine Hütte hier gestoßen? Vielleicht ging es doch um ihn persönlich, um Philip? Vielleicht wollte ihn jemand aus dem Weg haben.«
»Aus dem Weg? Ich habe Ihnen doch gesagt, daß er keine Feinde hatte - Phil nicht.«
»Ich weiß, was Sie gesagt haben. Aber auf diese Hütte hier, wo sich Fuchs und Hase Gute Nacht sagen, stößt niemand durch Zufall.«
»Jemand könnte ihm gefolgt sein, ohne zu wissen, wer er war, einfach nur gefolgt sein, um zu sehen, wohin er ging.«
»Das stimmt; ich glaube auch, daß es so passiert ist. Ich glaube allerdings darüber hinaus, daß es jemand war, der ihn kannte oder wußte, wer er war. Ich glaube, er wurde aus einem Grund umgebracht, der nichts mit der Hütte zu tun hat. Wenn es ein Dieb war, warum hat er nicht gewartet, bis Philip wieder weggefahren war?«
»Ich weiß.« Sie seufzte. »Aber was ? Warum ?«
Jury schüttelte den Kopf. Er drehte den Papierbeschwerer um, schüttelte ihn, und sah zu, wie der Schnee auf den Schneemann, die Schlittschuhläufer, das Pferd und die Kutsche fiel und sich dann in kleinen Haufen setzte. Er zog die Spieluhr auf und beobachtete, wie die Schlittschuhläufer auf dem Spiegelteich in eine Richtung glitten und das Pferd und die Kutsche in die entgegengesetzte loshoppelten, während die Melodie aus Doktor Schiwago vor sich hindudelte. Jury stützte das Kinn auf die gefalteten Hände und versank in den Anblick der winzigen Zinnschlittschuhläufer, die ruckartig über den künstlichen See glitten. In der Kutsche saßen zwei Zinnfrauen und winkten. Er hatte die Hand am Kinn, hob einen Finger, ließ ihn sinken.
Dann bemerkte er die Stille und richtete sich auf. »Mucksmäuschenstill hier, was?«
Hester hatte das Lied mit geschlossenen Augen mitge-summt, sie schaukelte. »Ja. Die Stille ist wie dünnes Eis. Sogar ein Vogelzwitschern zerbricht es. Es ist so friedlich.«
Gemeinsam genossen sie die Stille.
Sie sah von seinem Gesicht zu dem Durcheinander auf dem Tisch. »Sie können Phils Zeug durchsehen - ich glaube nicht, daß er was dagegen gehabt hätte. Und dieser Sheriff -« Sie suchte nach dem Namen.
»Sinclair.«
»Ja. Er ist hier gewesen. Ich habe die Polizei im Ort angerufen, als Phil nicht zurückkam. Danach hat er mir ein paar Fragen gestellt; dann habe ich nie wieder etwas von ihm gehört.«
Jury zog einen dünnen Stoß Papiere zu sich heran und blätterte sie durch. Rechnungen, ein paar Briefe.
Ich gehe nicht mehr gern nach Hause. Er sah Hester an, die wieder tief in ihren Träumereien versunken war, dachte an ihre Worte und ihre Traurigkeit und sagte: »Ich finde es schön, daß Sie dieses Haus bekommen haben, Hester.« Er lehnte sich zurück. »Ich habe das Gefühl, daß es so seine Richtigkeit
Weitere Kostenlose Bücher