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Fremde Federn

Fremde Federn

Titel: Fremde Federn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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Nachdem sie das schmutzige Geschirr ins Becken gestellt hatte, ging sie nach oben ins Bett.
    Melrose saß zusammengesunken auf der Bank, die Manuskriptseiten in der Hand, und dachte nach. Aus den Gebäuden kamen die Studenten, in Pausenstimmung. Auf dem Pfad, an dem er saß, herrschte eiliges Kommen und Gehen.
    »Er ist tot. Er ist tot.« Er schaute auf, zwei Studenten starrten ihn an. Sie hielten ihn vermutlich für verrückt, wie er hier auf einer Campus-Bank vor sich hinbrabbelte. Sie lächelten unsicher und machten einen weiten Bogen um die Bank.

Kapitel 17/I
    Sweetie.
    Sie schaute den Namen an und hoffte, um das Wort würde sich ein Magnetfeld ausbreiten, das weitere Worte in seinen Kreis ziehen würde. Sie tippte es noch einmal in Großbuchstaben: S W E E T I E. Der Name pochte hinter ihren geschlossenen Augenlidern, ging langsam an und aus wie eine Neonschrift über einem Diner: L E C K E R -L E C K E R - L E C K E R.
    An einen Diner zu denken war ein Fehler gewesen; sie wurde hungrig. Wenn die Kette nicht wäre, würde sie wie der Blitz aus dem Büro flitzen, wutsch, hoch in den zweiten Stock, und sich einen Kaffee und einen Doughnut genehmigen. Besser noch, in die Cafeteria gehen zu einem Kaffee in einer richtigen Porzellantasse und einer Zimtschnecke. Aber es war noch nicht soweit; sie hatte noch gut fünfundvierzig Minuten zu schreiben. Sie schaute auf die Uhr an der Wand; zu sehen gab’s da nichts, denn sie hatte das Zifferblatt mit einem Schal verhangen. Sie warf immer etwas darüber; sonst würde sie die ganze Zeit über hinschauen und ausrechnen, wie lange sie sich noch quälen mußte. Es gab natürlich auch einen Wecker; der stand im Aktenschrank und tickte gedämpft vor sich hin. Aber rasseln konnte er so laut, daß Glas zersprang. Er war auf zwei Uhr gestellt.
    Herr im Himmel, wenn jemand, der ihre Bücher las, sie jetzt hätte sehen können! Sie stellte sich einen Schriftsteller vor, zumindest so, wie sie annahm, daß der Leser sich den Autor bei der Arbeit vorstellte (wenn Leser überhaupt je an Autoren dachten), und sah sich selbst in einem mit Büchern vollgestopften, mahagonigetäfelten Arbeitszimmer. Der Fußboden war aus unregelmäßig breiten Kiefernholzbrettern und mit dicken Orientteppichen belegt, die Fenster schauten auf neblige Felder (Schriftsteller stehen ja immer im Morgengrauen auf), die Worte waren schwungvoll in Schönschrift mit einem Montblanc-Füllfederhalter in ein Kalbsleder-Notizbuch geschrieben. Alles schön mit einem Füllfederhalter auszuschreiben (Ellen grübelte, warum Füllfederhalter immer noch Füllfederhalter hießen), das atmete doch den reinen Geist der Schriftstellerei; das war die wahre Kunst des Schreibens. Und viel schwerer als Tippen; und noch viel schwerer als mit Computer und Textverarbeitungsprogramm zu schreiben. Denn das war genau, wie es klang: Man verarbeitete Worte, wie man Sahne buttert, und heraus kam eine ölige Substanz. Die Worte flutschten hervor, mit Kunst hatte das nichts mehr zu tun; aus dem Nichts sprangen die Buchstaben wie durch Zauber auf den Bildschirm. Es sah aus, als gelangten sie durch Vermittlung einer übermenschlichen Instanz dorthin.
    Ellen knirschte mit den Zähnen und schrieb mit ihrem Filzschreiber:
    SWEet i e
    Sweetie blieb mit der Schachtel Pralinen im Schoß sitzen, bis die Abenddämmerung sich in Dunkelheit verwandelte.
    Ellen stand auf, schleppte sich zum Fenster und überlegte: Wer versuchte, Sweetie umzubringen? Versuchte überhaupt jemand, sie umzubringen? Denn an Lily, nicht an Sweetie, waren die Briefe adressiert. Es war ein Mysterium. Manchmal flatterte Ellen der Hauch einer Antwort durch den Kopf und machte das Hirn wieder etwas freier.
    Die Kette zog an ihrem Knöchel. In ihrer Sorge um Sweetie war sie vom Fenster zum Aktenschrank gewandert, mit den Fingern tastete sie über dessen glatte Oberfläche, um den Schlüssel zu finden. Den beschwerlichen Treck hatte sie, ohne sich dessen recht bewußt zu sein, schon öfter unternommen und deshalb den Fahrradkettenschlüssel dort oben außerhalb ihrer Reichweite hinlegen müssen. (Der Wecker war in der untersten Schublade, da konnte sie so eben noch selbst hinlangen. Einmal hatte sie den bösen Fehler begangen, auch den Wecker, außerhalb ihrer Reichweite zu deponieren, und als dann das ohrenbetäubende Rasseln ertönte, waren etliche Fakultätsmitglieder unter »Feuer! Feuer! «Rufen aus dem Gilman-Gebäude geflüchtet.) Ursprünglich hatte sie den Schlüssel oben auf

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