Fremde Federn
kann.«
Sie biß in ihren Kuchen, und Jury war ein wenig verblüfft, diese Worte aus Hesters Mund zu hören, noch dazu so nüchtern und selbstverständlich ausgesprochen. »Das finde ich auch. Ich wünschte, ich könnte es.«
»Hm, das tun Sie vielleicht ja auch, nur anders.«
Jury lachte. Er fragte nach Philip. »Hat er gemalt?«
Sie schüttelte heftig den Kopf. Ihr Haar flog ihr über die Schulter. Es war dunkelblond, eine unscheinbare Farbe, wenn es nicht so hell geglänzt hätte. Wie poliert. »Philip war mit dem bloßen Anschauen zufrieden. Ich glaube, er kannte jedes einzelne Bild in der Sammlung und wußte alles darüber. Er hängte sie immer gerade. Wenn eines auch nur ein Millimeterchen schief hing, rückte er es zurecht. Wissen Sie, wenn ich ihn vor mir sehe, dann sehe ich meistens nicht sein Gesicht, sondern seinen Rücken, und einen Finger hat er oben auf einen Rahmen gelegt. Barnes hätte ihn geliebt.« Ihr Lächeln war weit weg, nicht für Jury bestimmt. Sie hob die Gabel und legte sie wieder hin, als verunsichere es sie zu essen. »Er hatte Glück, finde ich.«
»Glück?«
»Er war genau das, was er sein wollte - ich meine, er tat das, was er tun wollte.«
»Ja, das ist Glück. Das haben nicht viele.«
»Sie?« fragte sie.
Da hatte sie ihn wieder kalt erwischt. Aus der Fassung gebracht. Er empfand Hester wie sein eigenes Gewissen.
»Ich weiß nicht. Man kann ja so in seiner Arbeit versacken, daß man gar nicht mehr innehält, um sich das zu fragen.«
»Sie sind aber bestimmt gut in Ihrer Arbeit.« Sie legte das kleine Stück Kuchen aus der Hand, als schmecke es ihr nicht mehr.
Jury lachte. »Hm, danke. Woher wollen Sie das wissen?«
»Na, hören Sie doch, wie ich die ganze Zeit rede.«
»Würden Sie mir auch erzählen, was Sie über seinen Tod wissen?« Hoffentlich war die Frage nicht zu barsch.
Aber sie reagierte sehr sachlich. »Er hatte eine Hütte, weiter nördlich. Nichts Großartiges, nur ein großer Raum mit Küche, Bett und Holzofen. Aber er brauchte nie viel. Nur das Lebensnotwendige, wie es so schön heißt. Ich hasse die Wendung, aber auf Phil paßte sie.«
Wahrscheinlich auch auf Hester, dachte Jury.
»Vielleicht mochte er mich deshalb«, überlegte sie unbefangen. »Wir fuhren oft am Wochenende mit seinem Jeep dorthin. Beim letzten Mal war ich natürlich nicht mit. Deshalb kann ich Ihnen auch nicht sagen, was passiert ist. Ich weiß nur, was die Polizei mir erzählt hat. Er sei erschossen worden. Es sei ein versuchter Einbruch gewesen.«
»Sie sehen aus, als ob Sie diese Meinung nicht teilen.«
Sie betrachtete die Ranke einer Grünlilie und antwortete: »Na ja, Sie müßten sich die Hütte ansehen, dann wüßten Sie Beschied. Haben Sie sie gesehen?«
Jury schüttelte den Kopf.
»Sie wissen, daß sie jetzt mir gehört?«
Jury war überrascht. »Nein. Hat er sie Ihnen vererbt?«
Sie nickte richtig froh. »Sehen Sie, er hatte nur noch die
Tante. Zuerst war ich überrascht, daß Phil ein Testament gemacht hatte. Schließlich war er erst siebenundzwanzig. Aber er war ein sehr ordentlicher Mensch, nichts blieb unerledigt. Er hatte - so was Gesetztes. Und er war verantwortungsbewußt.«
»Ich würde die Hütte gern sehen. Ich muß dem Sheriff da oben sowieso einen Besuch abstatten.«
Daraufhin wühlte sie in ihrer Schultertasche und kramte einen Schlüssel hervor. Auf dem Aufhänger stand »Phil«. »Ich erkläre Ihnen, wie Sie hinkommen.«
»Ich dachte, Sie kämen vielleicht mit.«
Sie riß die Augen auf und schaute ihn verwundert an. »Oh!« Dann breitete sie die Arme aus, als sei die Idee sehr zu begrüßen. »Wann?«
»Hm, warum nicht gleich jetzt?« Was für eine ausgeflippte Idee!
»Aber ich muß arbeiten!«
»Ja, aber die Stiftung würde Sie doch sicher für einen Nachmittag gehen lassen.« Er zog seinen Ausweis heraus, hielt ihn zwischen Zeige- und Mittelfinger hoch und bewegte ihn hin und her. »In einer polizeilichen Angelegenheit. Teufel auch, wie viele solcher Anfragen kriegen sie wohl von Scotland Yard?«
Als habe der Ausweis eine hypnotische Wirkung, wandte sie den Blick nicht davon ab.
»Wann haben Sie das letzte Mal geschwänzt?«
»Geschwänzt?«
»Einfach etwas Schönes gemacht?«
Sie hielt den Finger an die Hängepflanze und berührte sie, als sei sie einer der Bilderrahmen, die Philip immer ge-radegerückt hatte. »Seit Phils Tod nicht mehr. So kann man’s auch sagen. Wir haben geschwänzt.« Sie lächelte Jury an. »Geschwänzt.« Das Wort
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