Fremde Federn
Kettensträfling. In Louisiana.« Die Kette ging auf. Sie lehnte sich zurück und starrte in die Luft. »Er war einer von David Dukes Typen. Ein Neonazi.« Sie schaute zur Decke hinauf. »Er hat jemanden ... ermordet«, sagte sie nachdenklich.
»Warum haben Sie eine Kette am Fuß?«
»Das habe ich Ihnen doch gerade gesagt.«
»Nein, haben Sie nicht.«
Sie versuchte, das Ende der Kette auseinanderzuklamüsern. »Statt daß wir hier Rätselraten spielen, könnte ich ein bißchen Hilfe gebrauchen.«
Melrose genoß die Situation. Er rührte keinen Finger. »Eine Sträflingsgang in Louisiana erscheint mir nicht gerade als der rechte Umgang für Sweetie und Maxim.«
»Es kann doch noch nicht zwei Uhr sein.« Ellen hatte die Kette endlich abgewickelt, neben die Schreibmaschine geworfen und schnitt geschickt ein neues Thema an.
»Nach meiner Uhr ist es genau zwei. Zu meinem Bedauern ist es mir jedoch unmöglich, das durch die offizielle Universitätszeit zu verifizieren, weil die Uhr an der Wand verdeckt ist.« Auf eine Reaktion wartete er nicht, weil er wußte, daß er ohnehin keine bekommen würde.
»Dann hab ich’s geschafft!« sagte sie fröhlich. »Das Schreiben, meine ich.«
»Aha! Geschrieben haben Sie - was zum Teufel!«
Der Krach war ohrenbetäubend. Melrose ließ seine Bücher fallen, Ellen hechtete zum Aktenschrank, riß die Schublade auf und zerrte den altmodischen Wecker mit den zwei Glocken heraus. Sie schlug auf den Knopf und warf die Uhr wieder in die Schublade. Dann nahm sie ihre Jacke. »Es ist zwei Uhr.«
»Warum ...? Na ja, einerlei.« Er half ihr in die Lederjacke und fragte: »Wie geht es Sweetie?«
»So gut, wie man es eben erwarten kann, vermute ich.« Sie warf ihre alte Ledertasche über die Schulter. »In Anbetracht ihrer Situation.« Sie nahm die Türschlüssel vom Schreibtisch.
»Hoffentlich ist ihre nicht so hoffnungslos wie die von Maxim.«
Auf dem Weg zur Cafeteria beantwortete Ellen nicht eine seiner Fragen nach Fenster oder dem Manuskript, weil sie Fragen als den Rahmen des Buches sprengend und damit überflüssig erachtete. Statt dessen redete sie über Vicki Salva: »Die verdient eine gehörige Abreibung. Vicki Salva! Wick-VapoRub! Die Ähnlichkeit zwischen beiden Büchern sehen Sie doch auch?«
»Die sieht ja wohl ein Blinder mit Krückstock. Es handelt sich eindeutig um ein Plagiat.«
Ellen zog ihn aufgeregt am Ärmel. »Ist Ihnen schon etwas eingefallen, wie man ihr einen Schlag versetzen könnte?«
Melrose lächelte. »Ich habe eine Idee. Eine exzellente Idee.«
»Was?«
»Ich habe sie noch nicht zu Ende durchdacht.«
Sie ging rückwärts neben ihm her und schaute ihn flehentlich an. Trotz all ihrer Probleme sah sie wunderbar unbeschwert aus, fand Melrose - kindlich fast, unverdorben. Ein paar Studenten lagen auf Bänken und sogar auf dem Rasen und genossen die Sonne, obwohl es so kalt war.
»Ich muß es noch ein wenig bebrüten.« Er hielt Fenster hoch. »Warum beantworten Sie denn nicht wenigstens eine meiner Fragen? Wer hat Maxim ermordet? Sweetie war es nicht, oder?«
»Was bringt Sie auf den Gedanken, er wäre tot?« Sie gingen durch die Doppeltür in die Cafeteria. »Hoffentlich gibt es noch Zimtschnecken.«
»Was mich auf den - na, immerhin liegt er zusammengekrümmt auf dem Boden, das Blut fließt ihm in Strömen aus dem Körper und in der Nähe befindet sich ein Messer. Da habe ich Verdacht geschöpft.« Durch die Tische und ein paar späte Mittagsgäste folgte er ihr zur Theke.
Ellen enthielt sich eines Kommentars; mit dem Kinn fast auf der Glasvitrine, inspizierte sie die Reihen Doughnuts, Teilchen und Pies. »Ich sehe keine Schnecken. Dann nehme ich ein Stück Quark-Blätterteig.« Auf der Vitrine standen mehrere kleine Pralinenschachteln, im Preis herabgesetzt. Sie runzelte die Stirn.
Die Schwarze hinter der Theke hievte ein großes Stück Blätterteiggebäck auf den Teller und schaute Melrose an.
»Für mich nur einen Kaffee.«
»Wollen Sie keinen Kirsch-Blätterteig? Die sind wirklich gut hier.« Ellen zeigte auf ein Stück Kirsch-Blätterteig, die Frau legte auch das auf einen Teller und schob es Melrose hin.
In das Klirren von Tassen und Untertassen hinein sagte er: »Wollen Sie mir weismachen, daß Maxim nicht tot ist?«
Ellen drückte ihren Kuchenteller an die Brust und ließ den Blick auf der Suche nach einem Tisch durch den Raum schweifen. »Nicht unbedingt. Au, verdammt, da ist Vlasic. Beachten Sie ihn gar nicht.«
»Das dürfte mir
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