Fremde Federn
bei sich trug (es sah wie das von Jury aus), und öffnete es.
»Kopfschmerzen, Mr. Plant?«
»Was? O nein, Mr. Sly, wenn Sie nichts dagegen haben, nehme ich mein Bier mit zu einem Tisch und versuche an etwas zu arbeiten, über das ich die ganze Zeit nachdenke. Ich will nicht unhöflich sein, aber -«
Trevor Sly wedelte mit einer langfingrigen Hand Melrose' Entschuldigungen beiseite und sagte: »Nein, nein, kein Problem. Gehen Sie nur.« Er nahm den Teller mit den unberührten Häppchen. »Ich stell die mal ein paar Sekunden zum Heißwerden in die Mikrowelle.«
Melrose setzte sich in der generell im Blue Parrot herrschenden Düsterkeit an einen Tisch und blätterte die Notizen durch, die er sich gemacht hatte. Burgundertisch. Isfahan. Verna Dunn. Es waren eher nur Stichpunkte. J. Price. Bemerkungen zu J. Price. Er blätterte hin und her und war überrascht, daß das Buch fast voll war. The Red Last. Das Haus mit dem komischen Namen bei Cowbit. Der rote Leisten.
»Hallo.«
Er riß den Kopf hoch. Den Mund auf. Mit brechender Stimme erwiderte er den Gruß und erhob sich vom Stuhl.
»Ach bitte, lassen Sie sich durch mich nicht stören. Er«, Miss Fludd deutete mit dem Kopf auf Trevor Sly, »hat gemeint, ich soll Sie lieber nicht belästigen, weil Sie versuchen sich zu konzentrieren. Weil Sie an einem Fall arbeiten.«
Melrose lächelte in Richtung Sly, doch in Gedanken sann er auf Mord.
»Aber ich wollte wenigstens guten Tag sagen, vielleicht können wir uns ja ein anderes Mal unterhalten.«
»Nein, nein, gleich, ich meine, jetzt. Bitte setzen Sie sich doch. Nehmen Sie Platz.«
Wenn sie diese etwas seltsame Form der Begrüßung bemerkt hatte - flehentliche Bitten, Befehle, alles durcheinander -, zeigte sie es nicht. Wie, in Gottes Namen hatte er bloß ihr Eintreten verpaßt, ja, nicht einmal gehört, wie die Beinschiene über die Holzdielen geschleift war. Er sprang herzu, zog ihr einen Stuhl heran, holte ihr was zu trinken und stellte es behutsam auf den Tisch, als sei das Glas so zerbrechlich wie sie selbst. Sie trug wieder den dunklen Mantel, dessen zu kurze Ärmel ihr kaum über die Handgelenke reichten. Diesmal hatte sie das Haar locker mit einem schmalen schwarzen Band zurückgehalten und ein paar Blüten hineingesteckt. Kornblumen und Gänseblümchen.
Er setzte sich. »Hübsch, ihr Haar«, platzte er heraus.
Sie faßte an die Blumen. »Na, ich dachte, weil bald April ist, könnte ich ja mal was tun.« Dann zupfte sie eine Kornblume aus dem Sträußlein, langte über den Tisch und zog den Stiel durch das Knopfloch seines Jackettaufschlags. Diese Geste fand sie offenbar vollkommen natürlich, als gehöre sich das so. »Was für ein wunderschönes Jackett. Wolle mit Seide, stimmt's?«
Melrose öffnete es, als fände er dort das Etikett mit dem Namen des Herstellers oder der Angabe des Materials. Dann zuckte er die Achseln. »Keine Ahnung.«
»Doch. Ich kenne mich bei Stoffen aus. Eine sehr feine Qualität.«
»Ach, wirklich?«
Sie nickte und trank ihr Bier. Hoffentlich kein Cairo Flame.
Dann sagte sie: »Ich habe immer gehofft, daß Sie mal wieder hierherkommen. Es war so nett damals mit Ihnen zu reden. Allzu häufig habe ich keine Gelegenheit zu einem richtigen Gespräch -«
»Ich bitte um Entschuldigung, Sie beide um Entschuldigung.« Trevor Sly hing über ihnen, rieb sich die Hände und lächelte gepreßt. »Aber ich sehe, Sie haben nichts mehr zu trinken, Mr. Plant. Und Sie, Miss, haben auch fast ausgetrunken.«
»Noch zwei«, blaffte Melrose ihn an. Dieser Idiot. »Sind Sie aus London hierhergezogen?«
»Ja, ich habe in London gewohnt, in Limehouse. Als Tante Nora uns Watermeadows für ein Jahr angeboten hat, fand ich es toll. Viel Bewegung, Landluft und so weiter.«
»Tante Nora?«
»Lady Summerston. Eleanor. Sie ist meine Großtante. Eine angeheiratete Großtante.«
Melrose wich so erschreckt zurück, als hätte ihm Sly das Bier ins Gesicht geschüttet, statt es auf den Tisch zu stellen. Als der Wirt davonging, sagte Melrose: »Aber dann sind Sie auch verwandt mit -« Er wollte den Namen »Hannah Lean« nicht ins Gespräch bringen. Das war einfach zu traurig gewesen. Für Jury, nicht für ihn. Er betrachtete sein Glas, zog kleine Kreise damit.
Sie beugte sich ein wenig vor und wartete darauf, daß er den Satz zu Ende sprach. »Mit wem?« Als ihr plötzlich klar wurde, was Watermeadows für die Leute aus der Umgebung hier bedeutete, mündete das »Wem?« in einen langen Atemzug. »Ach,
Weitere Kostenlose Bücher