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Fremde Federn

Fremde Federn

Titel: Fremde Federn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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gern einreden, daß Sie ihn nicht sehr mögen, stimmt's?«
    Jury blieb stocksteif stehen und schaute zum Himmel hoch. »Eine seltsame Art, es auszudrücken. Also, um die Wahrheit zu sagen, ich mag ihn nicht die Bohne.«
    »Das stimmt nicht.« Sie lächelte. »Wissen Sie, Sie sind ihm sehr ähnlich. Wenn er auch nicht Ihren oberflächlichen Charme hat.« Das sagte sie todernst.
    »Oh, besten Dank.« Als sie sich dem Leicester Square näherten, blieb er wieder stehen. »Herr im Himmel! Sind wir so weit gelaufen?«
    »Ja, ein ganzes Stück.« Jury hatte die Nelsonstatue, die National Gallery, St. Martin-in-the-Fields durchaus registriert, aber überhaupt nicht gemerkt, wie die Zeit verging. Er war durch eine vertraute Stadtlandschaft gelaufen und hatte darüber, wenn auch nur ganz kurz, seine Ängste vergessen. Erstaunt merkte er, wie erleichtert er darüber war.
    »Hören Sie, Sie haben wohl keine Lust, jetzt was zu essen? Ich weiß, es ist noch früh, aber -«
    Charly unterbrach ihn. »Ich habe einen grauenhaften Hunger, ich habe nichts zu Mittag gegessen. Wir sind fast in Soho, und ich esse wahnsinnig gern Chinesisch.«
    Jury lachte. »Und ich kenne das perfekte Restaurant dazu. In dem war ich schon oft.« Als er sie am Arm nahm, um sie durch den Rush-hour-Verkehr zu lotsen, sagte sie: »Aber ich bezahle. Sie sind ja sozusagen mein Klient.«
    »Kommt nicht in Frage!«
    »Ach, keine Sorge. Am Ende bezahlen Sie es so oder so. Oder Ihr Freund Melrose Plant.«
    »Abgemacht. Er kann es sich leisten.«
28
    Der Blue Parrot lenkte Melrose Plant leider nicht von seinen Problemen ab.
    Er saß am Tresen, wartete darauf, daß Trevor Sly zurückkam, weil er noch ein Bier wollte, und überlegte, warum die Kneipe immer so isoliert wirkte, so unberührt von der Welt draußen und den unterschiedlichen Jahreszeiten. Im Jack and Hammer war das anders. Dort spürte man die feuchte Kälte des Winters, die weiche Frühlingsluft.
    Der Blue Parrot war ein einziges Ödland. Wenn Weihnachten bevorstand, merkte man es nur daran, daß Trevor Sly das Pappmachekamel mit Glöckchen schmückte und ein paar Lichter in die verstaubte Palme hing.
    Wenigstens, dachte Melrose, den großen Vogelkäfig an der Tür betrachtend, hatte Trevor Sly endlich diesen verdammten Papagei angeschleppt. Lange genug hatte es ja gedauert. Einen unechten mit kunterbunten Federn natürlich, der auf einer grellbemalten Stange hockte. Melrose ärgerte sich, daß er nicht blau war, aber er würde Trevor nicht den Gefallen tun, nach dem Grund zu fragen. Er hielt sich wohlweislich von dem direkt neben der Tür stehenden Tier fern. Denn es konnte sprechen, und jeder hereinkommende Gast bekam erst mal ein »Ahoi!« und eine anstößige Bemerkung zu hören, die Melrose nicht verstand. Vielleicht hatte Sly höchstpersönlich dem Papagei zu dem merkwürdigen Vokabular verholten.
    Apropos Gäste.
    Wo waren sie? Die Bude war so leer wie eine gottverlassene Wüste, obwohl das Reklameband über dem Spiegel »16.00-18.00 Uhr: Happy Hour! Tapas gratis!« verkündete. Melrose war der einzige Gast weit und breit. Sein Gastgeber kam nun mit einem Teller dieser Häppchen durch den Perlenvorhang.
    Trevor Sly war ein ungewöhnlich großer, dünner Mann mit Armen, lang wie auseinandergezogenes Karamel, und staksigen Storchenbeinen.
    Er machte ein paar schleimige Kratzfüße und wickelte dann seine nicht enden wollenden Extremitäten um einen Barhocker. Melrose musterte die verdächtig aussehenden Köstlichkeiten, die nun auf dem Tresen vor ihm standen. Käse? Kartoffelbrei? Fischpaste? Einerlei, wenigstens versuchte Trevor Sly sich bei seinen Gästen beliebt zu machen, was man von Dick Scroggs nicht gerade behaupten konnte.
    Sly meinte immer, er habe die meiste Kundschaft nach dem Dinner, nicht vorher. »Hauptsächlich spätabends. Zu uns kommt eher die Bohème, Bistrotypen, junges Volk, wissen Sie.«
    Das wußte Melrose nicht. Das junge Volk, dessen er ansichtig geworden war, konnte eine Party auch in einer Mülltonne abhalten. Diese Leute dürften keinerlei Bedürfnis verspüren, ein Pub mitten in der Mojavewüste aufzusuchen und sich von einem Papagei beleidigen zu lassen.
    Melrose schob Trevor sein Glas hin, damit der ihm noch ein Cairo Flame zapfte (war er verrückt?), und lud ihn auch auf einen Drink ein. Worauf der Mann wie ein Wasserfall vom Barhocker glitt, sich mit unterwürfigem Händereiben bedankte und drei Zentimeter eines fünfzig Jahre alten Single Malt Whiskys einschenkte. Dann

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