Fremde Federn
chinesischen Vase. Laut Dribble's war eine ähnliche mit 3000 Pfund veranschlagt. Er fühlte sich viel reicher als sonst. Im Beisein von Agatha dann allerdings sofort viel ärmer.
Während sie tiefer in das Glas fuhr, um sich einen Löffel Orangenmarmelade auf ihr Scone zu häufen, sagte sie noch einmal: »Ich habe gesagt, du kennst doch gar niemanden in Lincolnshire.«
Melrose seufzte. Sie wiederholte immer alles in denselben Worten, damit auch bloß keines ignoriert wurde. Dabei war sie selbst unendlich ignorierbar. »Ich will die Fens sehen, die Tulpen.« Er blätterte eine Seite um und erblickte das Bild eines gewaltigen Kronleuchters, der sogar Versailles zur Ehre gereicht hätte.
»In Lincolnshire Tulpen?«
»Jawohl, in Lincolnshire. Südlincolnshire zumindest ist berühmt wegen seiner Tulpen und sonstigen Blumen. Da gibt's meilenweit Blumenfelder.«
»Aber im Februar doch keine Tulpen.«
»Nein, trotzdem sind die Fens in dieser Jahreszeit bestimmt herrlich. Kahl und düster ...«
»Ich finde, das klingt eher abstoßend. Du hast wirklich einen komischen Geschmack.« Der Löffel klirrte im Glas. Ruthven servierte vorsichtshalber jetzt immer das ganze Glas Chivers grobgeschnittene Orangenmarmelade, denn sie beschwerte sich jedesmal, daß nicht genug da sei. »Ich verspüre jedenfalls nicht die geringste Lust, dorthin zu fahren.«
Danke schön, lieber Gott. Melrose verdrehte die Augen gen Himmel. Er hatte ihr sein Reiseziel ganz gegen seine sonstige Gewohnheit voreilig verraten. Aber er wollte nur das Gespräch von Ada Crisp und dem Jack-Russell-Terrier wegbringen. Er betrachtete den Fuß, das heißt, den Knöchel seiner Tante, der mit einem Klebeverband versehen war und auf einem Fußschemel mit Petit-point-Stickerei ruhte.
»Jetzt kann ich ohnehin nicht weg. Ich muß ja dauernd zu meinen Anwälten«, fuhr sie fort.
Ein ganzer Stoßtrupp? Wie viele waren denn in Marsch gesetzt, um gegen einen Terrier einen Prozeß anzustrengen? »Welcher Anwalt vertritt dich vor Gericht?« Er schlug Mordsdeal! zu und die Beine übereinander. Vielleicht konnte er dieser Posse ja doch ein gewisses Maß an Unterhaltung abringen.
»Ich bitte dich, Melrose. Es wird ja wohl kaum zum Prozeß kommen. Das meint Theo auch.«
Melrose zuckte zusammen. Wenn sie Theo Wrenn Brownes Namen noch einmal erwähnte, mußte er sich den Gin bringen lassen. »Du hast Browne doch immer verabscheut. Wieso ist er plötzlich dein Busenfreund?«
Diesen Einwand wedelte sie weg. »Wir hatten unsere Differenzen, ja.«
»Genau. Er war ein >saudummer Esel< und du eine >neugierige alte Schwätzerin<. Darin bestanden die Differenzen.«
»Du spinnst dir wie üblich mal wieder was zusammen.« Sie wischte sich ein paar Scone-Krümel vom Schoß. »Spielt ja auch keine Rolle. Theo hat mir geraten, mich auf eine außergerichtliche Einigung einzulassen.«
Zum erstenmal wurde Melrose nun regelrecht bange um Ada Crisps Schicksal. Wenn diese Natter Theo Wrenn Browne mitmischte, dann wußte allein Gott, wohin das alles führen sollte. »Und wie würde diese Einigung aussehen? Ada Crisp hat kein Geld. Sie müßte sich für bankrott erklären.«
»Sie hat den Laden -«
»Aha! Daher weht der Wind. Mr. Browne will sie aus dem Laden kriegen, egal wie!«
Sie zerschnitt noch ein Scone. »Mach dich nicht lächerlich, Melrose. Theo ist lediglich ein unparteiischer Beobachter.«
»Unparteiischer Beobachter wäre Theo Wrenn Browne wahrscheinlich nur bei Tiny Tims Weihnachtsfeier. Oder wenn die Lusitania sinkt. Er will, und zwar seit langem, daß sie den Laden räumt und er expandieren kann. Erzähl mir nicht, daß er nicht etwas ganz anderes im Schilde führt.« Melrose schlug sein Buch auf und zu. Nach einem Moment Nachdenken sagte er: »Dir ist hoffentlich klar, daß es doch zum Prozeß kommen kann.« (Nur wenn das Gericht total plemplem war.) »Vielleicht wollen sie ja einen Präzedenzfall schaffen.« Er lächelte. »Und wenn du verlierst, na, dann mußt du die Kosten tragen. Hoffentlich bist du darauf vorbereitet. Könnte teuer werden.« Er blätterte weiter.
»Verlieren? Ich verlieren?« Agatha war so schockiert, daß sie das marmeladentriefende Scone völlig vergaß. »Ich habe angenommen, du wärest auf meiner Seite.«
»Ich bin auf der Seite der Wahrheit«, sagte er bombastisch und setzte mit »und der Gerechtigkeit!« noch einen drauf.
»Das ist meine Seite!« Sie biß in ihr Scone.
»Agatha, hat dein Anwalt dich nicht gefragt, wie dein Fuß überhaupt
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