Fremde Schiffe
Großsegel schwebte an dem einzigen Mast des Schiffes empor, bis es fast dreißig Fuß über dem Bug hing. Ein heftiger Windstoß blähte es laut knatternd auf.
Sie segelten in die Richtung, in der sich der Himmel allmählich rosig färbte. »Wir fahren nach Osten«, stellte Ansa fest.
»Aye, aye«, sagte der Kapitän. Er lehnte sich auf die Reling und ein breites Grinsen glitt über sein Gesicht. »Wir segeln noch eine Stunde nach Osten, ehe wir uns nach Süden wenden. Auf diese Weise umgehen wir die Kuppen, die sich südlich von hier bis weit ins Meer erstrecken. Es wäre nicht besonders lustig, das Leben auf zerklüfteten Felsen zu beenden, nicht wahr?«
»Nein, das würde ich gerne vermeiden.«
»Du bist ein Reiter. Bist du das erste Mal auf See?«
»Jawohl. Bislang gefällt es mir.«
»Wir werden sehen. Solange uns der Wind nicht im Stich lässt, ist es auch für eine Landratte eine schöne Erfahrung. Falls es aber Sturm gibt, setz dich an Deck und binde dich am Mast fest. Versuch bloß nicht herumzugehen, denn du bist nicht daran gewöhnt. Und schneide dich auf keinen Fall los, nur wenn wir ein wenig unter Wasser geraten. Wir bleiben nicht lange genug unten, um zu ertrinken.«
»Taucht das Schiff wirklich unter Wasser?«, wollte Ansa wissen und fragte sich, ob es sich um einen Scherz handelte, den der Seebär dem Reiter spielte.
»Es wird sich so anfühlen. Große Wellen brechen über uns herein, aber solange kein Wasser in den Rumpf eindringt, tauchen wir nach wenigen Augenblicken wieder auf. Sobald sich der Sturm wieder beruhigt hat, schnappst du dir einen Eimer und schöpfst, denn das wird nötig sein.« Der Mann brach in schallendes Gelächter aus, als wäre die Aussicht, um ein Haar zu ertrinken, ganz besonders amüsant.
Die Sonne kletterte über den östlichen Horizont und entfaltete eine Pracht, die Ansa in der heimatlichen Steppe nie zuvor aufgefallen war. Er schaute sich um und unterdrückte ein Keuchen. Das Land war nur noch ein winziger dunkler Strich weit hinter ihnen. Plötzlich wurde ihm bewusst, dass sie ganz allein über einen riesigen Ozean segelten. Das Gefühl war beunruhigend wie auch die Tatsache, dass sich nichts als Wasser unter ihnen befand. Es war, als hinge man hilflos in der Luft.
Er kämpfte gegen die aufsteigende Angst. Ein Mann, der bereits der persönliche Gefangene Königin Larissas war und der einem schrecklichen Tod ins Auge geblickt hatte, durfte sich nicht vor Wasser fürchten. Das Deck unter seinen Füßen war hart und fest, auch wenn es sich fortwährend auf und ab bewegte.
Er wanderte an Deck hin und her und machte sich mit dem Schiff vertraut. Ihm fiel auf, dass die Taue, ‚die ihm anfangs wie ein verwirrendes Spinnennetz erschienen waren, verschiedene Aufgaben erfüllten. Nach kurzer Zeit hatte er die Bedeutung jedes Taues entdeckt und die Takelage des Schiffes ergab ein vollständiges, vernünftiges Bild. Die Matrosen zerrten fortwährend an den Seilen, zogen eines stramm, lösten ein anderes und veränderten den Winkel des Segels oder seine Höhe. Ihre Bemühungen erinnerten ihn an einen Musiker, der sein Instrument stimmte und niemals damit zufrieden war. Auch die Matrosen schienen nie zufrieden, dass sie den Wind aufs Trefflichste ausnutzten.
Das Boot war ungefähr zwanzig Schritte lang. Während seines kurzen Aufenthalts in Neva hatte er bedeutend größere Schiffe gesehen, aber noch immer kam es ihm seltsam vor, dass ein so großes Gefährt sich mit solcher Leichtigkeit bewegte.
Die Besatzung bestand aus sehr unterschiedlichen Männern. Er hatte inzwischen gelernt, dass Seeleute aus aller Herren Länder stammten, immerzu umherreisten und keine richtige Heimat außer ihrem Schiff hatten, egal, wo sie geboren waren. Zwei von ihnen waren winzige Menschen, so schwarz wie ein sternenloser Himmel. Ein anderer war riesengroß, beinahe doppelt so breit wie Ansa, mit bleicher Haut und rotem Haar, das nicht nur seinen Kopf und das Gesicht bedeckte, sondern den ganzen Körper. Dazwischen gab es noch ein halbes Dutzend Matrosen, deren Hautfarben von Weiß bis Dunkelbraun reichten und deren Haare und Augen ebenfalls alle möglichen Farben aufwiesen. Ihre Sprache war die Sprache des Meeres und sie enthielt unzählige Worte, die sonst nirgendwo auftauchten.
Schon bald rissen sie das Segel herum. Der Steuermann, der den Kapitän abgelöst hatte, lehnte sich gegen die Ruderpinne und das Schiff beschrieb einen scharfen Bogen nach Süden. Der Wind nahm zu und schon
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