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Fremde Schwestern: Roman (German Edition)

Fremde Schwestern: Roman (German Edition)

Titel: Fremde Schwestern: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Renate Ahrens
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müssen. Gleich gestern Morgen, als es klingelte.
    Es klopft.
    Ich zucke zusammen.
    »Frau Daniels?«
    »Ja?«
    »Das Kind wartet auf Sie.«
    Ich öffne die Tür und blicke in das Gesicht der Krankenschwester.
    »Wir haben Sie schon gesucht.«
    »Ich bin etwas durcheinander.«
    »Das kann ich mir vorstellen. Kommen Sie.«
    Die Schwester greift nach meinem Arm.
    Merle steht im Flur und sieht mich grimmig an.
    »Nun haben wir deine Tante doch gefunden.« Die Schwester streicht Merle über den Kopf. »Und du hattest schon Angst, dass sie ohne dich weggefahren sei.«
    »Hatte ich nicht«, protestiert Merle. »Sie kann ruhig wegfahren. Ich bleibe sowieso bei Mama.«
    Ich hole tief Luft. »Es wäre schön, wenn du einen Moment lang bei der Krankenschwester bleiben könntest, während ich mit deiner Mutter spreche.«
    »Die will dich nicht sehen.«
    »Aber ich will sie sehen«, antworte ich und lasse mir Lydias Zimmernummer nennen.
    Zum ersten Mal hat Merle wieder mit mir gesprochen.
    Ich stehe vor Lydias Tür. Klopfe an. Warte. Klopfe noch einmal. Nichts.
    Ich trete ein. Lydias lauernder Blick trifft mich sofort.
    »Betrittst du immer ohne Erlaubnis die Räume anderer Menschen?«
    »Ich weiß, dass du mich nicht sehen willst, aber darauf kann ich keine Rücksicht nehmen.«
    Erbärmlich sieht sie aus. Grau das Gesicht, die Wangen eingefallen. Unter den Augen tiefe Schatten.
    Ein süßlicher Geruch hängt in der Luft. Er ekelt mich. Ist es die Infusion? Oder ihre Haut?
    Die Frau im Nebenbett rührt sich nicht. Ihre Augen sind geschlossen. Schläft sie? Hört sie mit? Ist mir egal.
    »Es geht um Merle.«
    Ich atme so flach wie möglich.
    »Sie ist sehr unglücklich bei dir.«
    »Ich bin auch alles andere als glücklich mit ihr, das kannst du mir glauben. Obwohl ich mir große Mühe gegeben habe. Aber deine Tochter will nichts von mir wissen.«
    Ein Lächeln zieht über Lydias Gesicht. »Sie hat eine sehr starke Persönlichkeit.«
    »Das kann sein.«
    »Und wen sie nicht mag, den mag sie nun mal nicht.«
    »Ich habe sie nicht gebeten, bei mir zu wohnen. Wir wissen alle, dass dies ein Notfall ist.«
    »Sobald es mir wieder bessergeht, werde ich sie holen, und wir werden dir nie mehr zur Last fallen.«
    »Lydia …«
    »Und jetzt geh bitte. Du siehst, wie erschöpft ich noch bin.«
    »Wir müssen darüber reden, was mit Merle passiert.«
    »Lass mich erst mal zu Kräften kommen. Dann werde ich sie holen. Was soll ich dir noch sagen?« Lydias Augen fallen zu.
    Zu Kräften kommen? Du? Ich könnte schreien.
    »Geh.«
    Da gehe ich.

7.
    N iemand auf dem Flur. Niemand im Stationszimmer. Wo ist Merle? Ich laufe zu den Fahrstühlen.
    »Warten Sie!«
    Ich drehe mich um. Die Krankenschwester kommt auf mich zu.
    »Ihrer Nichte wird gerade Blut abgenommen. Hat die Ärztin Ihnen nicht gesagt, dass sie getestet werden muss?«
    »Doch … Ich dachte, sie sei weggelaufen.«
    »Die Situation ist wahrscheinlich nicht einfach für Sie. Vielleicht wollen Sie am Montag mit jemandem vom Sozialdienst sprechen. Es gibt andere Lösungen. Eine Pflegefamilie oder ein Kinderheim.«
    Plötzlich steht Merle im Flur. In ihrer rechten Armbeuge klebt ein Pflaster.
    »Da bist du ja.«
    Sie blickt mich nicht an.
    »Morgen, wenn Sie wiederkommen, sieht vielleicht manches schon anders aus«, sagt die Schwester. »Ihre Telefonnummer haben wir ja.«
    Bei jedem Telefonklingeln werde ich denken, dass es mit Lydia zu Ende geht.
    Merle humpelt. Zusammengepresste Lippen. Eine kleine Falte auf der Stirn. Sie hat Schmerzen und will es nicht zugeben.
    »Was möchtest du jetzt machen?«
    Schweigen. Der kurze Satz vorhin war ein Ausrutscher. Was macht sie mit ihren Fragen? Wie es weitergeht, ob ihre Mutter wieder gesund wird, was passiert, wenn … Denkt Merle so weit?

    Wir sitzen im Auto. Die Ampel zeigt Rot. Im Rückspiegel sehe ich die kleine Falte auf Merles Stirn. Wir werden Schuhe kaufen. Dabei müssen wir nicht miteinander reden.
    Ich finde eine Parklücke. Wir steigen aus.
    »Wir kaufen dir jetzt Schuhe, die passen.« Ich bemühe mich zu lächeln.
    Merle reagiert nicht. Wie viel Kraft kostet es sie, keine Miene zu verziehen? Bekommt nicht jedes Kind gern neue Schuhe?
    Sie folgt mir nur zögernd. Wird sie gleich weglaufen?
    Eine gefährliche Straße. Ich will nach Merles Hand greifen. Schnell verschwindet die Hand hinter ihrem Rücken. Ich packe sie am Arm.
    Die Kinderabteilung ist im Souterrain. Lauter Ständer mit bunten Sandalen, Turnschuhen, Lackschuhen,

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