Fremde Schwestern: Roman (German Edition)
wird sie leugnen, dass es mit ihr zu Ende geht. Du kennst doch meine Schwester … zumindest dachte ich das.«
»Ich wollte dich gestern nicht kränken.«
»Es klang so, als sei ich die Schuldige. Dabei habe ich so unter ihr gelitten …« Ich schlucke. »Das weißt du besser als jeder andere.«
»Es tut mir leid. Ich wollte dir helfen.«
»Eine seltsame Hilfe.«
»Ich dachte, dass ihr euch vielleicht aussöhnen könntet … wo sie doch so krank ist.«
»Niemals. Das würde sie nicht wollen und ich auch nicht.«
»Hat sie den Ärzten gesagt, wer Merles Vater ist?«
»Nein.«
»Frag du sie.«
»Ich kann mir ihre Antwort schon vorstellen. Das geht dich einen Dreck an, wird sie sagen und mich aus dem Zimmer schicken.«
»Was macht Merle?«
»Die hat sich wieder im Bad eingeschlossen.«
»Spricht sie jetzt mit dir?«
»Nein.«
»Und Jan?«
»Der kommt nachher vorbei.«
»Ruf mich an, wenn du mich brauchst.«
Die Badezimmertür steht sperrangelweit offen. Es gibt keine Überschwemmung.
Merle sitzt im Schlafzimmer auf dem Fußboden und sieht fern. Inzwischen geht es um Geparde. Dagegen hätte sicher nicht mal Lydia etwas einzuwenden.
»Du kannst dich aufs Bett setzen. Das ist jetzt dein Bett.«
Merle blickt mich skeptisch an.
»Hier rechts im Schrank sind deine neuen Anziehsachen. Ich werde im Wohnzimmer schlafen. Das ist praktischer, weil ich dort auch arbeite und abends später ins Bett gehe als du.«
Merles Augen wandern zurück zu den Geparden. Ein interessanteres Thema als ein Umzug von einem Zimmer in ein anderes.
»Wenn du Hunger oder Durst hast, kannst du dir was aus der Küche holen. Aber verdirb dir nicht den Appetit fürs Abendessen.«
Keine Reaktion. Soll sie fernsehen, bis sie es leid ist. Ich habe ihr gesagt, was ich zu sagen hatte.
In der Küche koche ich mir einen Tee. Verziehe mich mit der Zeitung ins Wohnzimmer, das jetzt mein Zimmer ist. Mein Zimmer. Merles Zimmer. Eine klare Aufteilung. Auch wenn es nur für dieses Wochenende ist. Ich bin nicht verpflichtet, für sie zu sorgen. Der Gedanke entlastet mich nicht.
8.
E s klingelt. Die Schlafzimmertür öffnet sich einen Spalt. Als Jan die Wohnung betritt, schließt sie sich wieder. Hat Merle gedacht, es sei ihre Mutter? Durch ein Wunder geheilt?
Jan gibt mir einen Kuss. Will wissen, wie es mir geht. Wo Merle ist. Ich deute auf die Schlafzimmertür.
»Sie sieht fern.«
»Im Schlafzimmer?«
»Ich habe beschlossen, dass ich sie dort unterbringe. Es ist praktischer so. Dann kann ich ungestört an meinem Schreibtisch sitzen.«
»Hat sie gesprochen?«
»Nein.«
Wir gehen ins Wohnzimmer. Ich schließe die Tür hinter mir.
»Ich kann nur noch mal wiederholen, dass es bei mir …«
»Ich will es nicht.«
Jan zieht die Augenbrauen hoch. »Immerhin habe ich schon ein Kind großgezogen. Die Bedürfnisse von Siebenjährigen sind mir vertraut.«
»Ich habe nicht vor, Merle großzuziehen, um das mal klarzustellen.«
»So gereizt kenne ich dich gar nicht.«
»Tut mir leid …«
Er setzt sich aufs Sofa.
Nach kurzem Zögern setze ich mich zu ihm. »Das Ganze ist ein einziger Alptraum. Am Montag werde ich mit jemandem vom Sozialdienst sprechen. Dann kommt Merle in eine Pflegefamilie oder in ein Kinderheim.«
»Erleichtert dich diese Perspektive?«
»Das fragst du noch?«
»Mir geht das alles zu schnell.«
»Merle muss längerfristig irgendwo untergebracht werden. Lydia hat Hepatitis C und eine Leberzirrhose. Eine Folge ihrer Drogensucht.«
»Hat sie eine Chance zu überleben?«
»Wir müssen abwarten, wie sie auf die Medikamente reagiert. Wenn ihr Gesamtbefinden sich entscheidend verbessert, kommt vielleicht eine Lebertransplantation in Frage.«
»Ist deine Schwester krankenversichert?«
»Nein. Sie hat auch keinen Wohnsitz in Deutschland. Früher war sie bei meiner Mutter gemeldet, und die hat für Merle und sie die Krankenversicherung bezahlt.«
»Wer wird die Krankenhauskosten übernehmen? Das Sozialamt?«
»Ja, ich denke, jeder Mensch hat ein Anrecht auf ärztliche Versorgung.«
»Hat deine Schwester sich nie Gedanken darüber gemacht, was im Krankheitsfall mit ihr passiert?«
»Lydia hat sich für derlei Dinge nicht interessiert, obwohl sie oft krank war. Sie ist immer davon ausgegangen, dass schon irgendwie für sie gesorgt würde. Und so ist es ja auch.«
»Wer ist Merles Vater?«
»Weiß ich nicht. Es kann gut sein, dass Lydia es selbst nicht weiß.«
Jan legt seinen Arm um meine Schultern. »Hast du eine
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