Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Fremde Schwestern: Roman (German Edition)

Fremde Schwestern: Roman (German Edition)

Titel: Fremde Schwestern: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Renate Ahrens
Vom Netzwerk:
müssen, warum ihre Mutter nicht mehr zu ihr zurückkehrt. Ich werde ihr auch sagen müssen, dass ihr Vater unbekannt ist, weil ihre Mutter nicht wollte, dass sie einen Vater hat. Wie soll ein Kind das verdauen?
    Ich fahre ziellos durch Eppendorf, weiter an der Außenalster entlang, am Hauptbahnhof vorbei in Richtung Hafen. Merle schaut aus dem Fenster. Nicht gelangweilt, aber auch nicht neugierig. Sie hat sich einen neutralen Gesichtsausdruck angewöhnt. Warum fragt sie mich nicht, wo wir hinfahren, was wir vorhaben? Hält sie dies für eine Stadtrundfahrt?
    An einer Kreuzung fällt mein Blick auf eine Litfaßsäule mit einem Plakat für das Musical Der König der Löwen. Plötzlich weiß ich, wo wir den Nachmittag verbringen werden.
    An der Kasse von Hagenbecks Tierpark kaufe ich zwei Eintrittskarten. Merle schaut aufmerksam um sich und rennt auf die Tiergehege zu.
    Vor den Affenkäfigen läuft sie aufgeregt hin und her und hüpft auf und ab. Dann zeigt sie auf einen winzigen Affen hoch oben in einem Kletterbaum.
    »So ein Äffchen hatte ich, genau so eins.«
    Sie strahlt mich an. Ich strahle zurück. Für einen Moment bin ich keine Feindin mehr.

10.
    I ch wundere mich immer noch, wenn ich Merles Stimme höre.
    Wenn sie mich fragt, ob die eingesperrten Tiere nicht unglücklich seien. Wieso die Giraffen einen so langen Hals hätten. Warum die Elefanten manchmal mit den Ohren schlackern würden.
    Nach drei Stunden ist auch Merle erschöpft. Ich steuere die Cafeteria an. Merle bestellt, wie ich, eine große Portion Pommes frites. Dazu trinken wir Cola. Das tue ich sonst nie. Merles Becher ist nach wenigen Minuten leer. Ihren biegsamen Strohhalm nimmt sie mit.
    »Warum muss ich immer hinten sitzen?«, fragt sie, als wir auf das Auto zugehen.
    »Weil es sicherer ist. Noch sicherer wäre es, wenn ich einen Kindersitz für dich hätte, so wie Jan.«
    »Wo ist er?«
    »… Wahrscheinlich in seiner Wohnung.«
    Er hat sich heute noch nicht gemeldet.
    »Können wir ihn besuchen?«
    »… Ja.«
    Ich wähle Jans Nummer und warte.
    »Er spielt bestimmt Klavier«, sagt Merle.
    »Wir sind auf dem Weg zu dir«, spreche ich auf sein Band.

    Jans Dachgeschosswohnung liegt in einem Altbau. Merle blickt an dem Haus hinauf und lauscht.
    »Von hier unten hörst du nichts«, sage ich und drücke auf den Klingelknopf.
    Ob Merle sich wundert, dass ich keinen Schlüssel zu Jans Haustür habe? Es war damals mein Vorschlag, abzuwarten, wie die Dinge sich entwickeln. Später hat Jan das Thema ein paarmal wieder aufgenommen. Ich habe nie die Notwendigkeit gesehen, Schlüssel auszutauschen.
    »Hallo?«
    »Wir sind’s.«
    »Franka? Ah …«
    Der Summer ertönt. Merle und ich treten in den kühlen Hausflur. Ich sage nichts, während wir die Treppen bis in den dritten Stock hinaufsteigen. Ob sie spürt, dass es zwischen Jan und mir eine Missstimmung gegeben hat?
    Jan steht in der offenen Wohnungstür und lächelt. »Das ist ja eine Überraschung.«
    »Hast du unsere Nachricht nicht bekommen?«
    »Ich habe mein Band nicht abgehört.«
    »Wir waren im Tierpark!«, ruft Merle und hält ihm stolz ihren Strohhalm hin.
    Noch nie habe ich Jan so verblüfft gesehen. Er streicht Merle über den Kopf und gibt mir einen Kuss.
    »Kommt rein.«
    In seiner Wohnung herrscht das übliche Chaos. Stapel von Büchern, Noten, ungeöffneten Briefen.
    Wir setzen uns auf das Ledersofa.
    Merle hat nur Augen für den Flügel.
    »Wie hat es dir bei Hagenbeck gefallen?«, fragt Jan.
    »Gut.«
    »Welches Tier fandst du am schönsten?«
    »Das Äffchen.«
    Jan runzelt die Stirn. »Was für ein Äffchen?«
    »Ein braunes mit einem schwarzen Gesicht. So eins wie das, das ich in Indien hatte.«
    »In Indien?« Jan wirkt etwas verloren. »Ich dachte, ihr hättet in Nepal gelebt.«
    »Da waren wir auch.«
    Wir schweigen einen Moment.
    »Möchtet ihr etwas trinken?«
    »Ich hätte gern eine Cola«, antwortet Merle.
    »So was habe ich nicht. Hast du in Indien immer Cola getrunken?«
    »Nein, aber im Tierpark.«
    Jan blickt mich erstaunt an. »Ich dachte, du hältst nichts von Cola.«
    »Man kann ja mal eine Ausnahme machen.«
    »Natürlich. Nur das habe ich bei dir noch nie erlebt.«
    Ich will etwas entgegnen. Da ist er schon in Richtung Küche verschwunden. Kränkt es ihn, dass die Ausnahme Merle und nicht ihm gegolten hat? Bahnt sich hier wieder eine Diskussion über meine strengen Prinzipien an?
    »Ich würde gern auf dem Klavier spielen«, flüstert Merle mir zu.
    »Da musst du

Weitere Kostenlose Bücher