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Fremde Schwestern: Roman (German Edition)

Fremde Schwestern: Roman (German Edition)

Titel: Fremde Schwestern: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Renate Ahrens
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Wunsch.
    Merle rennt vor, sammelt Steine, streichelt Hunde.
    »Judith hat bei einem Freund ein altes Klavier entdeckt«, sagt Lydia. »Ich weiß nicht, ob es was taugt.«
    »Wie teuer?«, frage ich.
    »Tausend Euro.«
    »Wenn du willst, kann ich’s mir gern mal ansehen«, sagt Jan.
    »Das wäre wunderbar.«
    Lydias Lächeln.
    »Ich rufe dich an, sobald ich die Adresse habe.«
    Seit wann hat sie Jans Nummer? Im Telefonbuch steht er nicht.
    Wir gehen in ein Café. Lydia verschwindet mit Merle in Richtung Toiletten.
    »Ist irgendwas?«, fragt Jan leise.
    Ich schüttele den Kopf.

    Merle sagt Lydia am Telefon gute Nacht. Sie legt den Hörer auf, runzelt die Stirn.
    »Mama ist wieder nicht zu Hause.«
    »Sondern?«
    »Irgendwo, wo’s laut ist.«
    Jan probt heute Abend mit seinem Trio.
    »Hoffentlich geht sie nicht wieder so spät ins Bett«, sagt Merle.
    »Wird sie schon nicht«, murmele ich.

    Am nächsten Morgen ruft Jan mich an. Sie haben gute Fortschritte bei der Probe gemacht. Nachher will er das alte Klavier begutachten. Abends hat er einen Vortrag in der Hochschule. Er wird es nicht schaffen, zwischendurch vorbeizukommen.
    »Schade«, sage ich.
    »Wär doch schön, wenn es klappt mit dem Klavier.«

    Ich fahre zu Lydia. Melde mich nicht vorher an.
    Judith öffnet mir die Tür.
    »Ist Lydia da?«
    »Weiß ich nicht.«
    Ich klopfe an. Keine Antwort. Vielleicht ist sie gar nicht nach Hause gekommen.
    Ich bin schon im Treppenhaus, da höre ich ihre Stimme. »Franka?«
    Ich kehre um.
    »Ich war gerade im Bad. Sonst kommst du nie um diese Zeit.«
    »Die Sonne scheint. Ich dachte, wir könnten spazieren gehen.«
    »Ich hatte schon Angst, es wär was passiert.«
    »Was soll passiert sein?«
    Mein Blick fällt auf ein Buch neben ihrem Bett. Naturheilverfahren.
    »Wusste gar nicht, dass du dich für so was interessierst.«
    »Ich werde meine ganze Ernährung umstellen.«
    »Hauptsache, du stimmst diese Dinge mit deiner Ärztin ab.«
    »Ach, diese Schulmediziner …«
    »Du solltest das Rauchen aufgeben.«
    »Ich weiß …«
    Wir gehen in den Stadtpark.
    Lydia hakt sich bei mir unter, erzählt mir von ihrem Abend. Ein Loft in Altona. Judith und ein paar Freunde. Alles Musiker.
    Lydias leuchtende Augen, ihre begeisterte Stimme. Sie ist wieder mit jemandem zusammen.

    Abends um elf meldet sich Jan. Das Klavier ist in gutem Zustand, hat einen passablen Klang. Er hält den Preis für angemessen.
    »Wo steht dieses Klavier?«
    »In einer Wohnung in Altona. Judith scheint die Leute sehr gut zu kennen. Ich hatte den Eindruck, dass sie mit einem von ihnen befreundet ist.«
    »… Und Lydia?«
    »Wieso?«
    »Wolltet ihr nicht zusammen hinfahren?«
    »Davon war nie die Rede.«

    Beim Frühstück erzähle ich Merle von dem Klavier. Sie jubelt, umarmt mich, betrachtet den Platz, wo wir es hinstellen werden.
    »Wann kommt das Klavier?«
    »Am Wochenende.«
    »Es ist bestimmt teuer.«
    »Tausend Euro.«
    »Hast du so viel Geld?«
    Ich nicke.

    Im Abaton läuft die Verfilmung von Astrid Lindgrens Michel in der Suppenschüssel. Lydia wollte immer, dass ich ihr daraus vorlese. Merle hat noch nie von Michel aus Lönneberga gehört.
    Wir holen Lydia ab. Merle spricht nur vom Klavier.
    »Sie ist so motiviert«, sagt Lydia. »Vielleicht schafft sie später mal den großen Durchbruch.«
    »Reicht es nicht, wenn ihr das Spielen Spaß macht?«
    »Was hast du gegen Erfolg?«
    »Nichts, wenn er sich irgendwann von selbst einstellt. Du solltest Merle nicht unter Druck setzen. Denk doch nur an Mutters ständiges Gerede, was aus dir alles für Berühmtheiten werden sollten.«
    »Das hast du mir nie erzählt«, ruft Merle.
    »Da gibt’s auch nichts zu erzählen!«, fährt Lydia sie an.
    »Schrei nicht so«, sagt Merle.
    »Tut mir leid«, murmelt Lydia und nimmt sie in die Arme.
    Merle lacht über Michels Streiche. Lydia und ich lachen nicht.

    Am Samstag wird das Klavier gebracht. Schwarz, glänzend. Es passt genau in die vorgesehene Ecke.
    Merle setzt sich sofort auf den Hocker und klappt den Deckel hoch. Vorsichtig streicht sie mit den Fingerspitzen über die Tasten, schlägt einzelne Töne an.
    »Schön klingt das.«
    Die Melodie des Schlangenbeschwörers. Sie braucht nicht lange, um sich zu erinnern.
    Später holt sie das Heft mit Jans Noten, betrachtet die Akkorde für die linke Hand.
    »Kannst du Noten lesen?«, fragt sie mich.
    »Leider nicht. Aber du wirst es bald lernen.«

    Wir sitzen bei Lydia im Zimmer, essen Kuchen, reden über das

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