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Fremde Wasser

Fremde Wasser

Titel: Fremde Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Schorlau
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geschoben hat. Ist er in Hochstimmung, so verfeinert
     und verlängert das Band diesen Zustand, veredelt ihn in gewisser Weise, so wie einigen Menschen der Genuss einer Fuge von
     Bach das Gefühl gibt, an Klarheit und innerer Reinheit gewonnen zu haben.
    All dies ist umso erstaunlicher, weil die kleine schwarze Kassette seine erste und die am tiefsten empfundene Niederlage dokumentiert.
    The first cut is the deepest – leise summt er den Hit von Rod Stewart vor sich hin, während er den Schrank von oben nach unten durchsucht.
    Wo ist nur dieses verdammte Band?
    Erneut durchwühlt er die Regale von oben nach unten.
    Ist es gestohlen?
    Er gibt dem Schrank einen Tritt.
    Crommschröder schüttelt einen Aktenordner.
    Das Band liegt unter der Mappe mit den letzten Planungen für die Hamburger Wasserwerke. Erleichtert nimmt er es und trägt
     es hinüber ans Fenster, dorthin, wo auf einem schmalen fahrbaren Untersatz aus Teakholz die Hi-Fi-Anlage steht. Er summt vor
     sich hin, als er es startet.
    Kurt Berger, Crommschröders Lieblingskrieger, hat ihm das Band zum Geburtstag geschenkt, vor zwei oder drei Jahren.
    Weiß der Teufel, wie er an die Aufnahmen kam.
    Er drückt die Play-Taste und setzt sich in den schwarzen Besucherstuhl.
    Im Jahre 2001 verkaufte der Kieler Gemeinderat seine Wasserwerke an TXU, einen texanischen Rentenfonds. Die Banken hatten
     die ehrwürdigen Stadtväter monatelang mit Gutachten kirre gemacht, dass die Globalisierung zum Ruin lokaler Wasserwerke führen
     wird. Man solle sich schnell einen starken, strategischen Partner suchen und mit diesem die Kieler Wasserwerke zu einem Global
     Player im europäischen Wassermarkt aufbauen. Irgendeine Bank präsentierte ihnen dann TXU als diesen Partner.
    Crommschröder hat damals mitgeboten. Er wollte die Kieler Wasserwerke für VED kaufen, aber die Amerikaner waren durch die
     Banken besser eingeführt. Er hatte keine Chance. Er erinnert sich noch, wie er nach der Entscheidung der Kieler Ratsversammlung
     zu Kieslow geschlichen war, um ihm von der Niederlage zu berichten. Daran denkt er nur ungern.
    Das Band enthält einen Mitschnitt aus der Sitzung der Ratsversammlung. Nach einem leisen Quietschen entlässt das Gerät die
     Stimme des SPD-Politikers Jürgen Fenskes in Crommschröders Büro. Crommschröder lauscht.
    »Wir haben keine Angst vor der viel zitierten Globalisierung. Die Partnerschaft mit TXU bietet eine ausgesprochene Wachstumsperspektive,
     weit über die Stadtgrenze Kiels hinaus.«
    Dann folgt der Ratsherr Dr. Arne Wulff, CDU, der einmal so richtig witzig sein will.
    »Warum nicht einmal Hecht im Karpfenteich sein?«, ruft Wulff.
    Crommschröder kichert, unterbricht mit der Fernbedienung das Abspielen des Bandes und geht an den Schrank zurück. Er öffnet
     eine Flasche Barolo, gießt sich ein Glas ein und lässt sich erneut in den Sessel sinken.
    Ein guter Tropfen, denkt er und drückt den Play-Knopf der Fernbedienung.
    Die Stimme von Norbert Gansel, dem Oberbürgermeister von Kiel, ist klar in Crommschröders Büro zu hören.
    »Es geht hier und heute um die Wettbewerbsfähigkeit der Stadtwerke, um kostengünstige Energieversorgung und um die Sicherung
     von vielen Arbeitsplätzen.«
    Dann Rainer Paternak von den Grünen: »Nicht nur die energetische Philosophie macht die TXU für die Grünen zu einem akzeptablen
     Partner, sondern es gibt sogar soziale Ansätze.«
    Crommschröder lächelt und trinkt einen Schluck Barolo. Dann die Abstimmung. Einstimmig verkauft die Kieler Ratsversammlung
     die Stadtwerke an TXU.
    Die letzte Stimme auf dem Band ist wieder die des Oberbürgermeisters.
    »Das ist wohl eine historische Entscheidung«, sagt er.
    Das Band bricht ab.
    Crommschröder schaltet das Gerät aus und geht ans Fenster. Vor ihm liegt das nächtliche Berlin. Drüben glitzert die Spree.
     In der Pförtnerloge brennt Licht.
    So einfach geht das mit diesen ahnungslosen Brüdern, denkt er.
    Er nimmt einen Schluck.
    TXU Europe, der große strategische Partner, war neun Monate nach dem Beschluss des Kieler Stadtrats pleite. Zuvor hatte TXU
     alles verkauft, was nicht niet- und nagelfest war: Werkswohnungen, Grundstücke. Die Gewinnausschüttungen an den amerikanischen
     Rentenfonds stiegen beachtlich. Die Investitionen wurden um die Hälfte gestrichen. Nahezu alle Tiefbaufirmen, die für die
     Stadtwerke Aufträge ausführten, entließen Personal oder gingen in der strukturschwachen Region Konkurs.
    Nach dem Konkurs von TXU entschied ein

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