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Fremde Wasser

Fremde Wasser

Titel: Fremde Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Schorlau
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auf dieser Ebene wird in Mark und
     Pfennig gerechnet; im vorliegenden Fall in Pfund und Penny.
    Mittlerweile staut sich jedoch eine Menge Unmut über London Water an. Crommschröder weiß, dass es jeden Tag Rohrbrüche gibt.
     Zwischen 40 und 60 Prozent des Londoner Wassers versickern im Leitungsnetz. Aber für Crommschröder ist es völlig undenkbar,
     auf dem dicht bebauten Grund der Millionenstadt eine Generalsanierung der Wasserleitungen vorzunehmen. Billiger ist es, der
     Themse mehr Wasser zu entnehmen oder Wasser aus Wales oder Schottland einzuspeisen. Dieses Wasser versickert dann zwar auch
     zur Hälfte, aber der Ankauf dieser Wassermengen ist immer noch billiger als das Auswechseln der defekten Rohre.
    Die andere Maßnahme, die Ärger produziert, ist die Absenkung des Wasserdrucks. In den entlegeneren Wohn quartieren führt dies
     teilweise dazu, dass nur noch ein müdes Rinnsal aus den Wasserhähnen fließt. Zum Glück für die VED haben die Leute, die dort
     wohnen, keine Presse- oder sonstigen »Verbindungen«. Crommschröder sieht das nüchtern. Wer seit Menschengedenken mit dem maroden
     öffentlichen Nahverkehrssystem lebt, wird sich wegen mangelnden Wasserdrucks nicht aufregen, sagt Crommschröder vor dem Management
     der London Water, und bisher behält er recht.
    All dies hält ihn nicht davon ab, Jahr für Jahr die Wasserpreise anzuheben, vorsichtig, nur um wenige Penny, die dem Konzern
     letztlich einige Millionen Euro bringen. Gut in der Bilanz der ersten Jahre machten sich auch der Verkauf zweier Wasseraufbereitungsanlagen
     sowie der stadtnahen Grundstücke, die ursprünglich einmal als Rückstauflächen bei Hochwasser gedacht waren.
    Als der Ärger über London Water bei einigenStadtverordneten laut wird, organisiert Crommschröder eine Pressekonferenz und verkündet das 1500-Kilometer-Programm. In den
     nächsten fünf Jahren würde London Water auf 1500 Kilometer die Rohre vollständig erneuern. Nur ein linkes Gewerkschaftsblättchen
     rechnet nach und schreibt, bei diesem Tempo und angesichts der Länge von mehr als 20 000 Kilometer dringend sanierungsbedürftiger
     Rohre würde London Water nicht einmal den jetzigen miserablen Zustand des Londoner Wassernetzes halten können. Crommschröder
     weiß, dass der Journalist recht hat, aber er nimmt sich vor, ihn als Spinner zu bezeichnen, falls er auf diesen Artikel angesprochen
     wird. Doch das geschieht nicht.
    Noch eine Szene bleibt ihm im Gedächtnis. London Water entnimmt der Themse das Trinkwasser nur 200 Meter unterhalb der Stelle,
     wo das geklärte Abwasser in den Fluss geleitet wird. Crommschröder erinnert sich noch gut an den alten Ingenieur, der ihm
     die Anlage gezeigt hat.
    »Das Wasser, das wir hier entnehmen«, erklärt der Mann ihm, »ist schon ein paarmal durch Menschen durchgeflossen.« Sie lachen
     beide. Der Mann bietet ihm eine Zigarette an. Crommschröder, der Nichtraucher, nimmt sie, und dann rauchen die beiden Männer.
    * * *
    London Water wirft dem Konzern viel Geld ab, birgt aber auch einige Risiken. Crommschröder nervt ein kleines Institut am Rand
     des Stadtteils West Kensington, das die Qualität des Themsewassers untersucht. Besonders in der Nähe der Abwassereinleitung
     entdecken die Wissenschaftler außergewöhnliche Mutationen bei Fischmännchen. Sie scheinen sich nach und nach in Fischweibchen
     zu verwandeln. An der Stelle, in der London Water das Trinkwasser entnimmt, seien bereits 40 Prozent der Fischmännchen feminisiert.
    Crommschröder wundert dies nicht. Er weiß, dass bestimmte pharmazeutische Rückstände, insbesondere die vonAntibabypillen, nicht herausgefiltert werden können. Die Forschungen, die es dazu gab, hat er selbst einstampfen lassen. London
     Water chlort das Wasser und reinigt es, dann wird dem Wasser das Chlor wieder entzogen. Damit kann man nicht jede Verunreinigung
     beseitigen.
    All dies ist ihm egal – das ist für Crommschröder so eine Gebrauchswertsache, und die langweilt ihn.

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    Kieler Wasser
    Stefan C. Crommschröder sucht in dem schwarzen Schrank, in dem er seine persönlichen Unterlagen aufbewahrt, nach seiner Lieblingskassette.
     Er hat sie schon zwei, vielleicht sogar schon drei Monate nicht mehr gehört. Es ist nur ein einfaches Magnetband, fast schon
     aus der Mode gekommen, aber für ihn ist es so etwas wie ein persönliches Mantra. Wenn er schlecht drauf ist, verfliegt die
     schlechte Stimmung, nachdem er das Band in den Schlitz des Kassettendecks

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