Fremde Wasser
den Vorstandsvorsitzenden, und er hofft, angesichts der Kaltblütigkeit und
Skrupellosigkeit, mit der Kieslow vorgeht, noch viel von dem Mann lernen zu können, dessen Nachfolger er werden will.
Bei einem Fernsehauftritt zeigt Kieslow sich einsichtig und erklärt, die VED lasse von »unabhängigen Fachleuten« einen »neuen
Verhaltenskodex« erarbeiten. Die »Lustreisen« seien selbstverständlich gestoppt.
Crommschröder bewundert seine geniale Pressearbeit: Plötzlich tauchen immer mehr Kommunalpolitiker in den Fernsehberichten
auf, die sich völlig ohne Unrechtsbewusstsein geben. Franz-Josef Britz, Aufsichtsratsvorsitzender der Essener Stadtwerke:
Ja, die Fahrt nach Barcelona habe stattgefunden, auch das Abendessen im Schloss Lerbach beim Starkoch Dieter Müller, gewiss
auch mit Damen. Dann sagt er: »Solche Geschichten sind republikweit nichts Ungewöhnliches.« Wilhelm Helkamp, Geschäftsführer
der Bergischen Energie und Wasser GmbH: »Das machen wir seit Jahrzehnten schon so.« Albert Lopez von den Stadtwerken Willich:
»Wir haben abends zwar gut gegessen, aber eine Einflussnahme gab es nicht.«
Kieslow hat sein erstes Ziel erreicht. Jedermann schreibt über die gierigen Politiker, und die VED ist aus den Schlagzeilen.
Crommschröder empfindet fast so etwas wie Neid auf das Meisterstück des Alten, als die Kommission ihren »neuen Verhaltenskodex«
vorlegt. Kieslow hat einen Professor für Wirtschaftsrecht aus dem Hut gezaubert, der den Bericht präsentiert. Dieser schlägt
in die Kerbe, die Kieslow markiert hat: »Aufsichtsräte kommunaler Unternehmen sind nicht berechtigt, Vergünstigungen ohne
sachlichen Grund anzunehmen.« Sollte den Unternehmen verboten werden, Politikern Vergünstigungen anzubieten? Nein, sagt derProfessor, aber die Konzernvorstände sollen »mehr Sensibilität in der Dienstreise-Frage« entwickeln, sie sollen »Skandale
verhindern«, weil diese dem Image des Konzerns schaden. Damit ist der Konzern aus dem Schneider, wieder einmal. Dann aber
kommt der entscheidende Vorschlag der Kommission: »Die Aufsichtsräte sollten künftig nicht mit Politikern, sondern mit Fachleuten
besetzt werden.«
Dieser Vorschlag ist tollkühn, er trägt ganz Kieslows Handschrift. Wie es ihm gelingt, aus der Defensive sofort in Angriffsposition
umzuschalten, das findet Crommschröder wegen der Dreistigkeit, die dahintersteckt, geradezu genial. Die »Fachleute« würden
natürlich Leute aus den Energiekonzernen sein, und mit diesen würde er es einfach haben, über den Verkauf der Wasserwerke
an die VED zu verhandeln. Der Einfluss der Bevölkerung wäre dann endlich auf null reduziert.
Auch daran denkt er an diesem Abend, nachdem die Kinder im Bett sind und Heike sich mit einem Buch auf die Couch zurückgezogen
hat.
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Legenden
Bei seinen früheren Ermittlungen, vor allem bei den verdeckten Operationen, war die richtige Wahl der Legende für Dengler
eine der wichtigsten Fragen. In seiner Zeit beim Bundeskriminalamt gab er sich häufig als Journalist aus. Einem Journalisten,
so merkte er bald, antworten die Menschen frei und unbefangen. Neugier fällt nicht weiter auf, da sie diesem Berufsstand gewissermaßen
natürlich zu Eigen ist und von jedermann, ob zu Unrecht oder nicht, vermutet wird.
Im Umgang mit Behörden ruft die Legende des Journalisten jedoch sofort Misstrauen hervor. Dort sieht man im Journalisten den
geborenen Feind, der immerfort etwas aufdecken will, und wahrscheinlich kennt man sich selbst gut genug, um zu wissen, dass
es auch immer etwas aufzudecken gibt. Im Umgang mit anderen Behörden bekommt man die offensten und zutreffenden Antworten,
wenn man selbst in einer Behörde arbeitet. Insofern war es damals am besten, als Legende die Wahrheit zu benutzen und als
Polizist aufzutreten.
Aber wie tritt man als privater Ermittler auf? Einem Privatdetektiv wird keine Behörde freiwillig Auskunft geben. Und das
wird wohl auch für den ärztlichen Dienst des Bundestages gelten.
Dengler beschloss, sich als Polizist auszugeben. In seiner Schublade lagen immer noch zwei Stapel alter Visitenkarten aus
seiner Zeit als Hauptkommissar beim Bundeskriminalamt. Ein Stapel lautete auf seinen tatsächlichen Namen, der andere auf Hauptkommissar
Gerhard Krämer, einen Namen, den er bei seinen Ermittlungen als Zielfahnder manchmal benutzt hatte.
Er wurde dreimal verbunden, dann war die richtige Ärztin am Apparat.
»Hauptkommissar Krämer. Ich
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