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Fremden Kind

Fremden Kind

Titel: Fremden Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Hollinghurst
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vor dem Sommertag kapituliert. In der Einfahrt stand ein hellblauer Morris Oxford mit heruntergekurbelten Fenstern, in seinem Schatten, auf dem Kies, lag ein kleiner pummeliger Jack Russell, der abwechselnd schnaufte und nachdachte. Paul hockte sich neben ihn, um mit ihm zu sprechen; der Hund ließ sich hinter den Ohren kraulen, zeigte aber kein echtes Interesse. Mr Keeping war ins Haus gegangen, und da Paul nicht glauben mochte, dass sein Chef ihn schlicht vergessen hatte, wartete er draußen mit bewusst unschuldiger Miene. Ihm fiel auf, dass die Auffahrt eine Einfahrt und eine Ausfahrt hatte, nicht als solche gekennzeichnet, doch die Tatsache weckte eine tief verschüttete kindliche Vorstellung von Luxus in ihm.
    Eine breite Blumenrabatte, bunt, aber verkrautet und überwuchert, zierte den Rand der Auffahrt, und vom höchsten Punkt aus hatte man einen Blick in den Garten neben dem Haus. Zwischen den geheimnisvollen Schatten zweier, dreier großer Bäume weitete er sich zu einem frisch gemähten Rasen aus, der sich vermutlich über die gesamte Rückseite des Hauses erstreckte. Der ganze Ort zu dieser undefinierbaren Tageszeit – Spätnachmittag, Ende Juni, Feierabend, doch vor sich noch einige Sonnenstunden – machte einen sonderbaren Eindruck auf ihn. Die Tageszeit wie auch das Licht schienen irgendwie zähflüssig. Er betrachtete das Namensschild, »Carraveen«, das klang wie Caravan oder wie Karrageen, das Irländische Moos, aus dem seine Mutter gerne ein Blancman ger ansetzte, aber es hatte auch etwas Romantisches, vielleicht Schottisches, wie ein völlig in Vergessenheit geratener Urlaubsort, ein Heim, das jemand vor langer Zeit sehr geliebt hatte. Er fühlte sich zugleich angelockt und leicht gehemmt; wodurch, konnte er sich nicht erklären. Durch das linke Panoramafenster erblickte er einen Flügel, anscheinend im Ess zimmer, doch der Tisch in der Mitte war mit Büchern bedeckt. Die Kirchturmuhr schlug ein Viertel, und die anschließende Stille wirkte wie dezent aufgeladen. Zu hören waren eigentlich nur Vögel.
    Dann eine Stimme, und er sah wieder zwischen den Baumschatten hindurch zu dem helleren Rasenbereich hinterm Haus – eine Frau mit einem breiten Strohhut und einer roten Blume an der Krempe redete mit einer unsichtbaren Person und ging dabei langsam auf das Haus zu: eine ziemlich große Gestalt in einem unförmigen blauen Kleid, die eine voluminöse Teppichtasche trug. War das die hochmütige Mrs Keeping, die Mutter von Julian und John? Nein, zu alt. Vielleicht Mr Keepings Mutter, eine Freundin oder Verwandte zu Besuch. Sie stutzte, als hätte das Gesagte sie verblüfft, sah zu Boden, dann wie blind an der Hauswand entlang und – entdeckte schließlich Paul. Sie sagte etwas zu der unsichtbaren Person – Paul vernahm eine zweite weibliche Stimme –, und als sie wieder herschaute, hob er lächelnd den Blick und winkte zögerlich, unschlüssig, ob er sich ankündigen oder verabschieden wollte. Erneuter Wortwechsel, sie nickte abwesend, nicht unbedingt in Pauls Richtung, und schlenderte außer Sicht hinters Haus.
    Paul ging zum Eingang, um »Auf Wiedersehen« ins Haus zu rufen. Er hatte das Gefühl, als gemeiner Eindringling eingestuft worden zu sein, einer, der fremden Leuten ins Fenster guckte. Eine Frau mittleren Alters mit einem breiten blassen Gesicht und schwarzen, zu einem steifen robusten Helm hochgesteckten Haaren kam auf ihn zu. »Oh, guten Tag«, sagte er, »ich bin Paul Bryant, von der Bank …«
    Sie sah ihn berechnend an. »Wollten Sie zu meinem Mann?«
    »Ich habe ihn gerade hergebracht«, sagte Paul.
    »Oh …«, sagte sie, kurzfristig zu Konzilianz bereit. Ihre stark geschminkten schwarzen Augenbrauen gaben zu erkennen, dass sie nicht leicht zufriedenzustellen war. »Ist sonst noch etwas?«
    »Ich weiß nicht«, sagte Paul, und da er nicht irrtümlich beschuldigt werden wollte: »Er hat mich einfach hier stehen lassen.«
    »Ah …!«, sagte Mrs Keeping und rief, sich halb abwendend: »Leslie!« Am Ende der Diele tauchte Mr Keeping auf. »Der junge Mann hier weiß nicht, ob er entlassen ist.« Sie starrte Paul einigermaßen drollig an, als sei er hier der Dumme, nicht sie.
    »Ach so, ja«, sagte Mr Keeping. »Das ist Paul Bryant. Er ist gerade erst aus Wantage zu uns gekommen.«
    »Aus Wantage …!«, sagte Mrs Keeping, als wäre das noch viel drolliger.
    »Von irgendwoher müssen wir schließlich kommen«, bemerkte Mr Keeping.
    Paul war in dem gnädigen, aber nie hinterfragten

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