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Fremden Kind

Fremden Kind

Titel: Fremden Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Hollinghurst
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unanständig?«
    »Julian ist – ja, was eigentlich? Julian ist – beständig.« Sie lachten. »Habe ich Sie in Verlegenheit gebracht?«, fragte Jenny.
    »Überhaupt nicht«, sagte Paul, der sich wieder gefangen hatte. »Ich kenne Ihre Familie noch nicht. Es ist alles neu für mich. Ich komme aus Wantage.«
    »Oh, ich verstehe«, sagte Jenny, als sei das tatsächlich ein Manko. »Sie alle auseinanderzuhalten ist ein Albtraum. Die alte Dame, die Sie schon kennen, ist meine Oma.«
    »Sie meinen Mrs Jacobs.«
    »Ja, sie hat noch mal geheiratet, als mein Vater sehr klein war. Insgesamt war sie dreimal verheiratet.«
    »Du liebe Güte.«
    »Ja. Sie geht auf die siebzig zu, das wird ein riesiges Fest.«
    Behutsam fing Paul an, die Pflanzen aus dem Trog auszugraben – sie bebten förmlich unter dem neuerlichen Anschlag auf ihre Würde – und stellte sie mit ihrem anhängenden Knäuel aus Wurzelwerk und Erde auf die alten Fisonssäcke. Weiche Düngerklümpchen, lose unter das Erdreich gemischt, klebten noch schleimig daran. »Ich hoffe nur, dass ich hier nichts falsch mache«, sagte er.
    »Ach, Sie machen das schon richtig«, sagte Jenny, die, wie die anderen auch, zuschaute, aber nicht richtig bei der Sache war.
    »Ihre Tante hat mir gesagt, dass Sie nach Oxford gehen.« Er versuchte, seinen Neid, wenn man es so nennen wollte, hinter einem jovialen onkelhaften Ton zu verbergen.
    »Das hat sie Ihnen gesagt? Ja, es stimmt.«
    »Was wollen Sie studieren?«
    »Ich studiere Französisch auf dem St Anne’s College.« Aus ihrem Mund hörte es sich sagenhaft exklusiv an, diese satte Schlichtheit der Substantive. Er hatte mal seine Mutter durch Oxford geführt, bewundernd hatten sie vor den Colleges gestanden; es war eine Art masochistische Reise, bevor er in die Banklehre nach Loughborough ging, aber mit dem Frauen-College hatten sie sich nicht weiter aufgehalten. »Julian bewirbt sich dieses Jahr an der Universität.«
    »Dann studieren Sie ja vielleicht sogar zusammen.«
    »Das wäre riesig«, sagte Jenny.
    Nachdem er den Trog von der Blumenerde befreit hatte, ruckelte er mit beiden Händen daran; er ließ sich tatsächlich leichter bewegen. Trotzdem lachte er schon mal vorsorglich über den nächsten drohenden Misserfolg. »Na dann, los«, sagte er und hockte sich wieder hin. Über den Rasen hinweg sah er Mrs Keeping heraneilen, mit ihrem sicheren Gespür für den richtigen Zeitpunkt. In einem Kraftakt, der schon fast eine Lachnummer war, hievte er den großen Steinblock hoch und platzierte ihn mit einem erstickten Schrei auf dem anderen Klotz, jedenfalls auf die Kante. Die Arbeit war getan. »Aha!«, sagte Mrs Keeping. »Jetzt kommen wir der Sache schon näher.« Während er den Trog im Gleichgewicht hielt und beinahe unterwürfig zu ihr hinauflächelte, spürte er, wie er ihm aus der Hand glitt – und wenn er nicht auf der Stelle zur Seite gesprungen wäre: Der Koloss hätte ihm den Fuß zertrümmert. Der Stützblock darunter war umgekippt, und jetzt lag der ganze Trog, massiv und starr, seitlich auf dem Rasen. »Oh, Gott! Ist Ihnen auch nichts passiert?«, sagte Jenny und packte Paul mit einem erfreulichen Anflug von Hysterie am Arm. Mrs Keeping schnappte nach Luft. »Also, ist das die Möglichkeit!«, sagte sie. »Sehen Sie mal«, sagte Jenny. »Ihre Hand blutet.« Er wusste selbst nicht, wie das passiert war, und erst jetzt, als Jenny es bemerkte, spürte er den dumpfen, tiefen Schmerz am Handballen, den stechenden an den abgeschürften Hautstellen. Wahrscheinlich hatte der Schreck, dass der Trog in zwei Teile zerbrochen war – was außer Paul niemand bemerkt hatte –, den Schmerz in Schach gehalten.
    Zehn Minuten später fand er sich – Clown, Held, Opfer, er wusste nicht genau, was – mit einem großen Glas Gin Tonic in der rechten Hand in einem Gartenstuhl liegend wieder. Die linke Hand steckte in einem imposanten Verband, die Finger in ihrem Futteral waren kaum zu bewegen. Mrs Keeping persönlich hatte ihm diesen Verband mit affektierter Reue angelegt, wobei die Gewissensbisse immer aggressiver wurden, je enger und fester sie den Mull um die Hand wickelte. Jetzt betrachtete die ganze Familie mit Sorge und Bedauern und einer Prise Selbstzufriedenheit seine Hand. Paul brachte keinen Ton heraus, beugte sich vor, um Roger, den Jack Russell, zu streicheln, der hinters Haus gekommen war und es sich japsend auf einem der griechischen Blaukissen, die sich über den Steinplatten ausbreiteten, bequem gemacht hatte. Mr

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