Fremden Kind
Direktor die Stirn. »Julian geht in die sechste Klasse der Oundle School und schlägt sich ganz wacker, glaube ich.« Er zog an seiner Pfeife und schaute über ihre Köpfe hinweg. »Es heißt, er soll nach Oxford.« Mit diesen Worten ging er hinaus und hinterließ einen halb verqualmten Raum.
Auf der Toilette wusch sich Paul den Geruch des Geldes, nach Kupfer, Nickel und schmierigem Papier von den Händen. Der Boiler rumpelte, grauschwarze Seifenschaumflocken besprenkelten das Becken. Der Gedanke an den bevorstehenden Spaziergang mit Mr Keeping beunruhigte ihn, aber es war eine Chance, wie seine Mutter gesagt hätte, und dass die Keepings zwei Söhne hatten, einer davon in Pauls Alter, machte die Sache leichter. John und Julian: Paul sah die beiden vor sich, ein verführerisches Bild, aufgetaucht aus dem Nichts; schon zeigten sie ihm den großen Garten. Er lächelte sich spitz im Spiegel zu, drehte den Kopf leicht nach links und rechts: Er hatte eine lange Nase, die Bryant-Nase, wie seine Mutter sie nannte und die Verantwortung dafür von sich wies; sein Haar war für die neue Stelle extrem kurz geschnitten, und das Neonlicht, das einem nichts ersparte, offenbarte seinen kupferroten Schimmer und die Sommersprossen auf der Stirn. Er verzog das Gesicht zu einem Grinsen, um zu prüfen, wie das aussah, als Geoff hereinkam und sich ans Pissoir stellte; es war ein Doppelbecken auf einem Podest, und verstohlen betrachtete Paul im Spiegel Geoffs Rücken.
»Wissen Sie, Kollege Paul, die Sache ist die«, sagte Geoff mit einem kurzen Blick über die Schulter, »unseren Chef hat es im Krieg schlimm erwischt.«
»Ach so, ja dann …«, sagte Paul, machte sich erst an den Wasserhähnen, dann an dem feuchten Lappen, der aus dem Handtuchspender hing, zu schaffen.
»Kriegsgefangenschaft«, sagte Geoff nur. »Er spricht nie darüber, also fragen Sie ihn um Himmels willen nicht danach.«
»Das würde ich nie tun«, sagte Paul. »Warum auch?«
Geoff kam zum Ende, schüttelte sein Glied, zog den Reißverschluss seiner herrlich engen Hose zu und kam herüber zum Waschbecken, wo er sich, im Gegensatz zu Paul zufrieden mit sich und seiner Erscheinung, im Spiegel betrachtete. Er reckte das Kinn vor, strich mit der Hand darüber und schob den Kopf erst zur einen, dann zur anderen Seite. Sein rundliches Gesicht mit den vollen Lippen wurde von zwei hübschen Koteletten eingerahmt, die nach unten spitz zuliefen. »Man muss leider sagen«, fuhr Geoff fort, »dass er das reinste Nervenbündel ist. Er kann einem leidtun, wirklich. Eigentlich hätte er eine viel größere Zweigstelle verdient. Hochintelligent, heißt es, aber die Belastung würde er nicht aushalten. Er hat das Gefühl, dass er nirgendwohin allein gehen kann. Es gibt ein Wort dafür …«
»Ja. Agoraphobie?«
»Genau, so heißt das. Deswegen bringt eine von den Frauen ihn immer nach Hause.« Er drehte den Warmwasserhahn auf, und der Boiler sprang wieder an. »Jedenfalls behauptet er, das sei der Grund …« Paul bemerkte, dass Geoff ihn im Spiegel ansah, eine Augenbraue hochgezogen; Paul lachte, wurde rot und senkte den Blick. Er war noch lange nicht so weit, über seine Kollegen Witze zu machen. Gewisse atmosphärische Stimmungen glaubte er schon gespürt, auch einige Geschichten zwischen ihnen gewittert zu haben; jede sexuelle Anspielung hätte jedoch auch ihn bloßstellen können, und er wusste, dass er damit nicht davonkommen würde. Geoff trat dicht neben ihn, um sich am Handtuch abzutrocknen; er verströmte einen stechenden Feierabendgeruch, Zigaretten, Bri-Nylon, ein Schuss Rasierwasser. »Na dann, ich will My Fair Lady nicht warten lassen«, sagte er. Er ging mit einem Mädchen von der National Provincial, der Konkurrenz am Marktplatz gegenüber, was die Mädchen von der Midland ein bisschen daneben fanden.
Als Paul in die Schalterhalle zurückkehrte, trat Mr Keeping gerade aus dem Direktionsbüro; in der Hand hielt er einen dunkelbraunen Filzhut und hatte einen gefalteten Sommerregenmantel über den Arm geworfen. Nervös suchte Paul nach Anzeichen seines Leidens, seines Kriegstraumas. Natürlich war die Glatze, der breite kantige Schädel, Sitz und Symbol seiner außergewöhnlichen Intelligenz, der vorherrschende Eindruck. Seine Gesichtszüge darunter schienen dagegen eher klein und provisorisch. Er hatte trockene, merkwürdig konturlose Lippen, und beim Lachen bogen sich seine Mundwinkel in einem irritierenden Anflug von Widerwillen nach unten. Als sie draußen
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